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Themenicon: navigation pathKunst und Kinematografieicon: navigation pathMarker
 
 
 
 
 

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Tradition unter dem Stichwort der »Text-Bild-Schere« bekannt geworden ist, d. h. der wechselseitigen Verfremdung von Aussagen textueller Natur durch konträre Bildschnitte und bildlicher Evidenz durch widersprechende Kommentare.[21]

Dekonstruktion des akusmatischen Machteffekts

Allerdings traut Marker dem Anschauungsvermögen seiner Zuschauer die Kapazität zu, beim zunehmenden Auseinanderdriften von Text und Bild eher eine Steigerung des kritischen Bewusstseins zu erfahren. Genau genommen zeigt er wie in keinem der nahezu kanonischen Zitate dieser Filmszene bemerkt die Sequenz viermal, ein erstes Mal nämlich ohne Kommentar, und er schließt sie ab mit der Bemerkung, dass Objektivität selbst gar nicht erreichbar ist, sondern der Evokationseffekt der Stimme immer ein solcher der deformierenden Beurteilung, des Festhaltens und Feststellens ist und sich vielmehr zur Erfindung, zur Suggestion bekennen sollte: »Aber die Objektivität ist auch nicht genau. Sie deformiert die Wirklichkeit Sibiriens nicht, aber sie arretiert sie im Augenblick eines Urteils, und dadurch deformiert sie

 

gleichwohl. Was zählt, ist der Schwung und die Vielfalt. Es ist kein Spaziergang in den Straßen von Jakutsk, was Ihnen ein Verständnis Sibiriens vermitteln würde. Man bräuchte dazu einen Film imaginärer Nachrichten, an den vier Ecken des Landes aufgenommen. Ich werde ihn Ihnen vorführen, zum Beispiel in jenem hübschen lackierten Kino von Jakutsk, und ich werde ihn kommentieren mit Hilfe jener sibirischen Redewendungen, die schon Bilder sind.«[22] Und Marker führt in der Folge eine Reihe solcher schon bildhafter Redewendungen an, um damit seine gleichsam nietzscheanische Position einer Befangenheit im metaphorischen Sinngehäuse der Sprache zu belegen, aus dem nur die Beschleunigung der Gleichnisse und eben ihre »Diversifikation« befreit. In diesem Sinne lässt sich die Sequenz auch als Dekonstruktion des akusmatischen Machteffekts, als ideologiekritische Desakusmatisation der Stimmautorität verstehen, deren Aussagekraft im Wechsel angesichts der Bilder jenseits von Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne lächerlich gemacht wird. Es ist eine Strategie der Entmachtung der Stimme durch Wiederholung auch im Sinne einer Bewegung, wie sie Daney beschreibt.

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