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Themenicon: navigation pathFoto/Byteicon: navigation pathKontinuitäten und Differenzen
 
Aftermath (Ristelhuber, Sophie)
 
 
 

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Urteilsfähigkeit des Einzelnen. [49] Hier trifft sich die Debatte über den ›Tod der Fotografie‹ mit derjenigen über die Virtualisierung menschlicher Erfahrung, die in den 1990er Jahren im Zusammenhang mit Computerspielen und zunehmender Internetnutzung, aber auch mit der medialen Aufbereitung des ersten Golfkriegs von 1990/1991 geführt wurde. Der Golfkrieg erhielt in zweifacher Hinsicht exemplarische Bedeutung: Er steht für eine neue Dimension in der ›sichttechnologischen‹ Distanzierung des Kampfpiloten von seinem Angriffsziel und eine besonders restriktive Bilderpolitik seitens der amerikanischen Kriegsführung. »In diesem Krieg«, so Mitchell in »The Reconfigured Eye«, das ein Jahr nach dem Golfkrieg erschien, »erledigten satellitengestützte Imaging Systeme den größten Teil des Spionierens und Auskundschaftens. An den Spitzen der lasergesteuerten Bomben waren Kameras angebracht; Piloten und Panzerführer wurden zu Cyborgs, untrennbar verbunden mit ihren hoch entwickelten visuellen Prothesen, die ihnen die digital verstärkte, geisterhaft-grünliche Ansichten der dunklen Kampfgebiete lieferten. Es gab keinen Matthew Brady, der uns die Leichen am Boden zeigte, keinen Robert

 

Capa, der uns mit der menschlichen Realität eines Kopfschusses konfrontierte. Stattdessen wurden die Leute zu Hause mit sorgfältig ausgewählten, elektronisch aufgenommen und manchmal sogar generierten Bilder einer distanzierten, unpersönlichen Zerstörung abgespeist. Abschlachtung wurde zum Computerspiel: Der Tod imitierte die Kunst.« [50] Das Zitat steht beispielhaft für die moralische Aufladung, die die Diskussion um fotografische und postfotografische ›Wahrheit‹ über diesen Kontext erhielt: Die elektronische Bildtechnologie steht für den Blick von oben, den Feldherrenblick, der nur anonyme Ziele im Visier hat; die ›klassische‹ Fotografie für den Blick von unten, für das Leid und den Tod des Einzelnen als ›menschliche‹ Wirklichkeit des Krieges. Die fotografische Arbeit »Aftermath«, die Sophie Ristelhuber nach dem Ende des Irakkrieges begonnen hat, setzt dagegen auf eine dritte Perspektive. Die Voraussetzung ihrer fragmentarischen Spurensuche ist die Überzeugung, dass die ›Wahrheit‹ eines Krieges über Bilder grundsätzlich nicht vermittelt werden kann: über Opferfotografien ebenso wenig wie über Cockpitdisplays.

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