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Die Idee, dass die Rezeption eines Kunstwerks die Partizipation des Betrachters erfordert, entsteht nicht erst im 20. Jahrhundert. Schon Ende des 19. Jahrhunderts nimmt Mallarmé die Idee einer prozessualen Kunst mit permutativen, aleatorischen Elementen vorweg, die dann Mitte des 20. Jahrhundert als das »offene Kunstwerk«[1] zum Programm der Avantgarde wird. Marcel Duchamp stellt in diesem Sinn 1957 fest, dass dem Betrachter in jeder ästhetischen Erfahrung selbst eine konstitutive Rolle zukommt und er »damit seinen Beitrag zum kreativen Akt hinzufügt«[2]. Bei anderer Gelegenheit behauptet er sogar, dass »ein Werk vollständig von denjenigen gemacht wird, die es betrachten oder es lesen und die es, durch ihren Beifall oder sogar durch ihre Verwerfung, überdauern lassen«.[3]
Interaktion, Partizipation und Kommunikation sind zentrale Begriffe und Konzepte der Kunst des 20. Jahrhunderts. Diese betreffen das Werk, den Rezipienten und den Künstler gleichermaßen: Es geht, ganz allgemein, weg vom abgeschlossenen Werk hin zum»offenen Kunstwerk«, vom statischen Objekt zum dynamischen Prozess, von der kontemplativen Rezeption hin zur aktiven Partizipation. Es geht weg vom Konzept des ›Autors‹ über den »Autor als Produzenten«[4] zum »Tod des Autors«[5] und hin zur ›verteilten‹ oder kollektiven Autorschaft. Das Künstlergenie des 19. Jahrhunderts entwickelt sich im Fortgang der Zeit zum Initiator kommunikativer, oft auch gesellschaftlicher und politischer (Austausch-)Prozesse an der Wende vom 20. ins 21. Jahrhundert. Bei allen diesen ›Öffnungsbewegungen‹ spielt der Begriff der Interaktion eine wichtige Rolle.
Der Begriff ist jedoch von den partizipativen Happening- und Fluxus-Aktionen der 1950er und frühen 1960er Jahre bis hin zur interaktiven Medienkunst[6] der 1980er und 1990er Jahre einem kontinuierlichen Bedeutungswandel unterworfen. Dies liegt einerseits an seinem breiten Bedeutungsspektrum: ›Interaktion‹ ist zum einen die Theorie des aufeinander bezogenen sozialen Handelns von Personen, zum anderen die vor allem technologisch verstandene Kategorie der Mensch-Maschine-Kommunikation, welche meist als ›Interaktvität‹[7] bezeichnet wird. Von den 1960er zu
den 1990er Jahren vollzieht sich ein Paradigmenwechsel von einer sozialen Auffassung von Interaktion hin zu einer eher technologisch und medial definierten Interaktivität (Mensch-Maschine-Interaktion). Dieter Daniels spitzt diesen Paradigmenwechsel folgendermaßen zu: Während es in den 1960er Jahren noch die soziale und kulturelle Utopie einer gesellschaftlichen Veränderung ist, die auch durch den Einsatz von Medien erreicht werden soll, hat sich in den 1990er Jahren das Verhältnis genau umgekehrt. In den 1990er Jahren ist die Medientechnologie »zum bestimmenden Leitmotiv geworden, aus dem alle sozialen, kulturellen und ökonomischen Veränderungen hervorgehen sollen«[8]. Der Begriff der sozialen Interaktion ist in den frühen 1990er Jahren dem einer vornehmlich technologischen Interaktivität gewichen. Mit dem Aufkommen des Internets Mitte der 1990er Jahre bekommt das Begriffspaar Interaktion/Interaktivität jedoch wieder eine verstärkt soziale Bedeutung: Jetzt bezeichnet es zunehmend einen medial gestützten Austausch zwischen Menschen und knüpft so an die Ideale der Intermedia-Kunst der 1960er Jahre und an die frühenTelekommunikationsexperimente der 1970er und 1980er Jahre an.
Die folgende Darstellung konzentriert sich nicht so sehr auf mediale oder technische Konzeptionen von Interaktivität, sondern vor allem auf die Projekte von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart, die die Idee einer sozialen, konvivialen Interaktion in den Vordergrund stellen. Nach einer kurzen Beschreibung verschiedener Interaktivitätsmodelle in der interaktiven Medienkunst fokussiert dieser Text daher auf Kommunikationsprojekte und -prozesse, in denen spezifische Interaktionsformen und Interaktivitätskonzepte entwickelt werden. Es handelt sich hierbei durchweg um eine medien- beziehungsweise computervermittelte Mensch-Mensch-Interaktion, die auf Vernetzung und Kooperation von räumlich weit voneinander entfernten TeilnehmerInnen abzielt. Heute finden sich alle in diesem Text vorgestellten Werk- und Interaktionsformen parallel nebeneinander: vom geschlossenen Werk über interaktive Medienkunstinstallationen bis hin zu offenen Prozessen.
Erste Schritte in Richtung aktiver Partizipation und Interaktion wurden von John Cage, Allan Kaprow, George Brecht und anderen im Umfeld von Happening und Fluxus in den 1950er und 1960er Jahren gemacht. Exemplarisch für die Idee des »offenen Kunstwerks « ließen sich John Cages berühmte Kompositionen »4'33''« (1952) oder »Imaginary Landscape No. 4« (1951) nennen. »4'33''« besteht aus 4 Minuten und 33 Sekunden Stille, deren Charakter natürlich von den Bedingungen der jeweiligen Aufführung abhängt (Geräusche der Zuhörer, des Aufführenden, der Umgebung et cetera). In »Imaginary Landscape No. 4« werden 12 Radios wie Musikinstrumente eingesetzt. Das jeweils vom Ort und der Zeit abhängige Angebot von Frequenzen lässt jede Aufführung zu einem nicht wiederholbaren ›Unikat‹ werden.[9] Cage will mit seinen minimalen Vorgaben einen »individuellen und sozialen Kreativitätsprozess in Gang setzen, der sich sukzessive von der Intention seines Initiators ablösen kann«[10]. Während die Stillein »4'33''« die Zuhörer für eine kreative Rezeption sensibilisiert (sie aber noch nicht zu aktiven Teilnehmern im künstlerischen Prozess macht), wird in »Imaginary Landscape No. 4« die offene Rolle der Performer betont (diese bleiben jedoch Performer). Die von Allan Kaprow begründete Form des Happenings[11] geht ab Ende der 1950er Jahre noch einen Schritt weiter, indem hier nun auch die Zuschauer selbst zu Teilnehmern, zu Auf- und Ausführenden des künstlerischen Prozesses werden (vgl. »18 Happenings in 6 Parts«, 1959). Diese Interaktion von Publikum, Werk und Künstler wird in den 1960er Jahren zum wichtigsten Element einer Ästhetik, die sich jenseits etablierter Gattungen, Kategorien und Institutionen ansiedelt und allgemein als ›Intermedia‹ bezeichnet wird.
Nam June Paik formulierte 1963 mit seiner Wuppertaler »Exposition of Music – Electronic Television« einen ersten Entwurf für eine Interaktion des Zuschauers mit dem elektronischen Fernsehbild. Die verschiedenen Versionen des hier erstmals gezeigten »Participation TV« (1963–1966) und des später
entwickelten »Magnet TV« (1965) ermöglichen es dem Zuschauer zum Beispiel, durch ein angeschlossenes Mikrofon oder einen Magneten oszillierende Muster auf einem elektronisch modifizierten TV-Bildschirm zu erzeugen. Typisch für diese frühe Phase ist die interaktive Um-Nutzung, das Détournement[12], von Medien wie TV und Radio, die eigentlich der Distribution dienen. Die darin mitschwingende Forderung nach einer Veränderung der Einweg-Struktur der (analogen) Massenmedien bedeutete eine massive Kritik an der durch den massenmedialen Konsum hervorgerufenen Passivität des Zuschauers.
Parallel zum Übergang von den Happenings zur Performance-Kunst der 1970er Jahre setzten sich andere Interaktivitätskonzeptionen durch. Mittels Closed-circuit-Installationen konfrontieren Künstler wie Dan Graham, Peter Campus und Peter Weibel den Betrachter mit seinem eigenen medialen Bild. Bruce Naumans »Live-Taped Video Corridor« (1970) fällt ebenfalls in diese Kategorie: Hier erfolgt eine radikale Konditionierung des Betrachters. Diese ersten im Kunstkontext erfolgreichen interaktiven Installationenentstanden aus einem fundamentalen Misstrauen gegenüber den noch in den 1960er Jahren angestrebten Idealen von Offenheit und Partizipation: »I mistrust audience participation« wird von Nauman überliefert. Bei den Closed-circuit-Installationen der 1970er Jahre handelt es sich daher weniger um partizipative Projekte als um »Situationen der Reflexion über die Beziehung von Betrachter und Medium«[13]. Im absoluten Gegensatz zu dieser ästhetisch-medialen Selbstreflexion steht Valie Exports berühmtes »Tapp- und Tastkino« (1968), das Interaktivität als direkte, sinnliche, taktile Erfahrung ›begreifbar‹ macht. Export hatte sich in dieser Straßenaktion einen nach vorne und hinten offenen Kasten vor den Brustkorb geschnallt, der es den Passanten erlaubte, durch einen an der Vorderseite des Kastens angebrachten Vorhang zu greifen, um so ihre Brüste zu befühlen. Der Betrachter wird in dieser ›mobilen Installation‹ auf noch drastischere Weise konditioniert als in Naumans ›Korridor‹, und gleichzeitig wird die Grenze von öffentlichem Raum und Privatsphäre radikal in Frage gestellt.[14]
Naumanns expliziter Ablehnung der Partizipation des Publikums steht in den 1970er Jahren ein Künstler wie Douglas Davis diametral entgegen. Seine künstlerischen Projekte zielen auf die Herstellung explizit dialogischer Kommunikationssituationen mittels neuer Telekommunikationsmedien ab (vgl. Abschnitt Satellitenprojekte). Allerdings bleibt Davis innerhalb der frühen Telekommunikationsprojekte der 1970er Jahre mit seinem Wunsch nach breit angelegter Zuschauerpartizipation zumeist allein. An den großen Telekommunikationsprojekten der 1970er und 1980er Jahre nehmen nur die beteiligten Künstler, nicht jedoch das breite Publikum teil. Dies ändert sich grundlegend erst mit der stärkeren Verbreitung des Internets in den 1990er Jahren.
In der computerbasierten, digitalen Multimediatechnik, die sich seit den 1980er Jahren zu entwickeln und stärker durchzusetzen begann, ist zwar die »Interaktion von Benutzer und Apparat im Medium selbstangelegt«[15], diese wird jedoch auf eine mediale, technische Interaktion reduziert. Man kann daher mit Dieter Daniels von einem ideologischen Paradigmenwechsel von den ästhetisch-sozialen Entgrenzungsideen der 1960er zu Konzepten der technologischen Interaktivität der 1990er Jahre sprechen. Emanzipatorische oder gar medienkritische Ansätze finden sich kaum in den für diese Zeit typischen Formen der Mensch-Maschine-Interaktion. Es lassen sich verschiedene Formen mediengestützter Interaktion in den 1980er und 1990er Jahren ausmachen[16]: Interaktion mit einer Videostory (interaktives Fernsehen und Kino) wie zum Beispiel in Lynn Hershmans »Deep Contact« (1989–1990), Interaktion zwischen Körper und (statischer oder dynamischer) Datenwelt wie zum Beispiel in Jeffrey Shaws »The Legible City« (1988), Peter Weibels »Die Wand, der Vorhang (Grenze, die) fachsprachlich auch: Lascaux« (1993), Christa Sommerer & Laurent Mignonneaus »A-Volve« (1993–1994) oder Ulrike Gabriels »Breath« (1992–1993), Interaktion als dialogisches
Modell wie zum Beispiel in Paul Sermons »Telematic Dreaming« (1992) oder Agnes Hegedüs' »Between the Words« (1995). In diesen Installationen ist der Betrachter nicht mehr nur Rezipient, sondern gleichzeitig auch Akteur. Allerdings bleibt er als ›exemplarischer Betrachter‹ meistens allein, weil diese interaktiven Installationen nur von einer oder zwei Personen gleichzeitig benutzt werden können. In den virtuellen Welten trifft der Besucher dazu selten auf andere Besucher, denn diese Environments sind nicht auf zwischenmenschliche Kommunikation ausgerichtet. Eine dieser ›Einsamkeit‹ entgegengesetzte ›Kollektivität‹ im Medienraum, die ab Mitte der 1990er Jahre durch das Internet möglich wird, entzieht sich sowohl durch ihre kollektive und/oder verteilte Autorschaft als auch durch ihre Form- und Ortlosigkeit bis heute einer Anbindung sowohl an den realen Raum als auch an den Kunstkontext (und letztlich die Kunstgeschichte). Mit dem Internet werden in den 1990er Jahren die Interaktivitätskonzepte der Intermedia-Kunst der 1960er Jahre wieder aktuell.
Telematik und Telepräsenz waren schon ab Ende der 1980er Jahre zu wichtigen Begriffen innerhalb der interaktiven Medienkunst geworden. Telepräsenz ermöglicht, Oliver Grau folgend, dem Betrachter, Erfahrungen parallel in drei verschiedenen Räumen zu machen: 1. im realen Raum, in welchem sich auch der Körper des Betrachters befindet, 2. per Teleperzeption im »virtuellen, simulierten Bildraum, der eine fiktionale oder reale entfernte Bildsphäre abbildet«, und 3. per Teleaktion an dem Ort, »an dem sich das Datenwerk oder gar ein Roboter befindet, den man mit seinen Bewegungen steuern respektive durch dessen Sensorium man sich zu orientieren vermag«.[17] Bis zu einem gewissen Grad kann man dieses Konzept, vor allem das der Handlung oder Beeinflussung auf Distanz, auch in der interaktiven Medienkunst wiederfinden.[18] Pioniere auf diesem Gebiet sind sicherlich Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz, die seit 1977 unter dem Namen Mobile Image zusammenarbeiten. Ihr wegweisendes Projekt
»Hole in Space« (1980) konnte mit fast allen Kennzeichen der Telepräsenz aufwarten – mit einer Ausnahme: Die Betrachter/BenutzerInnen werden nicht in einer virtuellen Realität repräsentiert. Wohl aber nehmen sie den entfernten Raum (per Teleperzeption) wahr und interagieren auch mit diesem (Teleaktion) beziehungsweise mit den Menschen am anderen Ende des ›Loches im Raum‹. Es handelte sich hierbei um ein dreitägiges Experiment, das im November 1980 zwei Orte in Los Angeles und New York über eine Satellitenverbindung in Echtzeit miteinander verband. Zufällig am Ort der Installation vorbeikommende Passanten in New York konnten durch dieses ›Loch im Raum‹ über Bild und Ton Kontakt mit Menschen am anderen Ende des nordamerikanischen Kontinents aufnehmen.
Auch Richard Kriesches ›telematische Skulpturen‹ sind ein gutes Beispiel für telematische Projekte. Nachdem er sich in verschiedenen Performances, zum Beispiel »Radiozeit« (1988) und »Artsat« (1991) mit der Bedeutung des Hintergrundrauschens technischer beziehungsweise digitaler Satellitenkommunikation auseinandergesetzt hatte, realisierte Kriesche 1993zusammen mit Peter Gerwin Hoffmann die »Teleskulptur III«. Diese bestand aus einer 24 Meter langen Eisenbahnschiene, die von einem 20 Meter langen Förderband quer durch den Ausstellungsraum transportiert wurde. Ausgelöst wurde die langsame, aber stetige Bewegung dieser Schiene hin zur Wand von Telefonanrufen, die bei einem Projekt von Fred Forest eingingen.[19] Anzahl und Informationsgehalt der Anrufe entschieden darüber, ob die Schiene den an ihrem Ende befestigten Monitor an der Wand zerdrücken und damit zerstören würde. Ein Telefongespräch wird in diesem Projekt somit zum Auslöser einer Bewegung, die sich gegen ein anderes Medium richtet. Durch diese Verknüpfung mit dem Telefonnetz entstand ein komplexer Wirkungszusammenhang: Das internationale Telefonnetz als erstes weltweites Informations- und Kommunikationsnetz wurde zum steuernden Impulsgeber der »Teleskulptur III«, die durch diese Verknüpfung räumlich entgrenzt wurde. Für die Biennale di Venezia 1995 erweiterte Kriesche dieses Konzept zur »Telematischen Skulptur 4«, in der eine Eisenbahnschiene von Datenströmen im Internet
kontinuierlich bewegt wird. Jedes Einloggen in der »Telematischen Skulptur 4« brachte für Augenblicke die Skulptur zum Stillstand. Die gesamten Datenströme und damit die konkrete Bewegung der Skulptur quer durch den österreichischen Pavillon auf der Biennale di Venezia 1995 wurden als Statusinformation am Monitor angezeigt.
Die Arbeiten von Paul Sermon sind im Gegensatz dazu ganz klar auf zwischenmenschliche, oft fast intime Kommunikation angelegt. Sie stehen in einer direkten konzeptuellen Verbindung zu »Hole in Space« von Galloway/Rabinowitz. »Telematic Dreaming« (1992) war Sermons erstes Projekt in einer ganzen Reihe von telematischen Installationen, die zwei entfernte Orte mittels Blue-Box-Technik und ISDN-Videokonferenzsystem miteinander verbanden. Das Interface von »Telematic Dreaming« bestand aus zwei an entfernten Orten speziell dafür eingerichteten Doppelbetten. Zwei oder mehrere Benutzer konnten so über Gesten und Bewegungen miteinander kommunizieren. Durch den Einsatz von Blue-Box-Technik und ISDN-Videokonferenzsystem erschien es, als lägen die real weit voneinander entferntenBetrachter/Benutzer in einem einzigen virtuellen Doppelbett. Es handelt sich bei dieser telematischen Installation wohl – vor allem wegen der Metapher des Bettes – um Sermons intimste Installation.
Die ersten Interventionen von Künstlern in Netzwerke Ende der 1970er Jahre geschahen zunächst aus einer Verweigerungshaltung gegenüber dem Kunstbetrieb. »Unsere Vorstellung war«, so Hank Bull und Patrick Ready, »dass es sich dabei um eine Kunst handelte, die nicht durch den Kunstbetrieb hindurch muss, sondern direkt von den Künstlern, den Produzenten, zu den Hörern gelangt«.[20] Es ging darum, wie auch später in der Netzkunst der 1990er Jahre, Räume außerhalb institutionalisierter Kunstdiskurse zu besetzen und nutzbar zu machen. Es ging, so schreibt Roy Ascott 1984, um die Schaffung einer »planetarischen Diskursgemeinschaft, die außerhalb der institutionalisierten Verwaltung des Diskurses steht, oder diese umgeht«.[21] Die künstlerischen Projekte, die seit den späten 1970er Jahren in
Telekommunikationsnetzen entstehen, entziehen sich traditionellem Werkdenken und sind am Begriff der ›sozialen Plastik‹ von Joseph Beuys, an der Objektunabhängigkeit der Konzeptkunst, der Ereignishaftigkeit der Performance- Kunst oder am Begriff des Politischen der Situationisten orientiert. Robert Adrian X weist insbesondere auch den E.A.T. (Experiments in Art and Technology) und der Mail Art[22] eine große Bedeutung für die Telekommunikationsprojekte seit Ende der 1970er Jahre zu: »Es war die Mail Art mit ihrer Vorstellung eines postalischen Raumes – eines Gestöbers von Bildern, das über die integrierten Postdienste den Erdball umschließt, die es überhaupt erst möglich machte, die Idee von Kunstwerken im elektronischen Raum der neuen Telekommunikationsnetze zu entwickeln.«[23]
Immaterialisierung, Prozess und Partizipation sind in diesem Zusammenhang die drei vielleicht wichtigsten, eng miteinander verknüpften Begriffe. Robert Adrian X betonte anlässlich des von ihm im Auftrag der Ars Electronica organisierten Telekommunikationsprojektes »Die Welt in 24 Stunden« (1982), dass die künstlerischeDimension gerade nicht darin bestand, besondere Objekte zu schaffen, sondern dass es um die Herstellung ›kommunikativer‹ Ereignisse zwischen den Teilnehmern ging. In diesem Projekt, das als eines der weltweit ersten kollaborativen Schreibprojekte im elektronischen Raum gilt, waren Künstler in 16 Städten auf drei Kontinenten 24 Stunden lang miteinander verbunden und entwarfen so eine Art telematische Weltkarte. Zum Einsatz kamen in diesem »Gesamtdatenwerk«[24] das Medium Telefon sowie damals noch exotische Maschinen wie Telefaksimile (Telefax) und Slow-Scan-Television (eine Art frühes Bildtelefon).[25] Das Projekt versuchte, jenseits der bereits bestehenden wirtschaftlichen Nutzung von Kommunikationsnetzen »individuelle Zugänge zu Telekommunikationsmedien zu schaffen und Strategien ihres künstlerischen Einsatzes zu entwickeln. Die künstlerische Dimension des gesamten Projektes besteht aber gerade nicht darin, besondere Objekte zu schaffen – ›Kunstwerke‹ – (etwa durch Fax), sondern in der Herstellung dialogischer Austauschverhältnisse, das heißt besonderer Relationen der Teilnehmer, die kommunikative Ereignisse ›produzieren‹«.[26]
Die ›De-Materialisation des Objektes‹, die Lucy Lippard bereits an der Konzeptkunst hervorgehoben hat, wird bei der künstlerischen Arbeit mit Computern und Computernetzwerken bis in ihr technologisches Extrem getrieben. Letztendlich basieren alle Prozesse im elektronischen Raum auf immaterieller Information. Diese Immaterialien[27] sind prozessualer Art, die, ähnlich wie Performances, nach ihrem Ende keine Spuren oder auratischen Objekte (geschweige denn Unikate) hinterlassen: »Produkte oder Gegenstände, die aus Telekommunikationsprojekten stammen, sind nur dokumentarische Relikte einer Aktivität, die im elektronischen Raum stattgefunden hat.«[28] Außerdem könne, so Ascott, in diesen Partizipationen im und am elektronischen Raum nicht mehr klar unterschieden werden zwischen ›Künstler‹ und ›Betrachter‹, zwischen ›Produzent‹ und ›Konsument‹: »Man kann nicht mehr länger am Fenster stehen und die von jemand anderem komponierte Szene betrachten, man ist vielmehr eingeladen, die Tür zu einer Welt zu durchschreiten, in der Interaktion alles ist.«[29] Der Begriff der Partizipation ist bei diesen frühen Telekommunikationsprojekten allerdings insoferneinzuschränken, als sich der Teilnehmerkreis aufgrund der geringen Verbreitung neuer Technologien auf eine kleine Anzahl anderer Künstler beschränkte, nicht jedoch das allgemeine Publikum mit einbezog. Dies konnte meist nur lesen und zuschauen – aber nicht aktiv eingreifen.
Das Bewusstsein um die Möglichkeit weltweiter Echtzeit-Kommunikation und die verschiedenen Kommunikationstechnologien (Telefon, Telex, Fax, Computernetzwerke, Telekonferenzsysteme, Satellitentechnik) haben Künstlerinnen und Künstler in vielfältiger Weise angeregt. Bereits 1961–1962 konzipierte Nam June Paik ein Klavierkonzert, das gleichzeitig in San Francisco und Shanghai gespielt werden sollte. Der Part der linken Hand sollte in der amerikanischen Stadt gespielt werden, der der rechten in der chinesischen. Seine Idee kam für eine Ausführung zwar noch etwas zu früh, zeigt aber Paiks guten Informationsstand. Die erste Fernsehübertragung zwischen Amerika und Europa über Telstar 2 fand im Juli 1962 statt.[30] Bis zur ersten von Künstlern
gestalteten zweiseitigen Satellitenkommunikation sollten jedoch noch 15 Jahre vergehen. Am 10. und 11. September 1977 gelang die erste künstlerische Zweiweg-Live-Übertragung zwischen New York und San Francisco. Liza Bear, Keith Sonnier und Willoughby Sharp konnten für die Aktion »Two Way-Demo« den 1976 in der Erdumlaufbahn platzierten NASA-Satelliten CTS nutzen. Zahlreiche Künstler nahmen an dieser ersten transkontinentalen Satellitenfernsehkonferenz teil: an der Ostküste der USA neben den Organisatoren unter anderem Andy Horowitz, an der Westküste unter anderem Carl Loeffler und Terry Fox. Es wurde diskutiert, Texte wurden verlesen und vorbereitetes Videomaterial eingespielt.
Im gleichen Jahr beteiligten sich Joseph Beuys, Douglas Davis, Charlotte Moorman und Nam June Paik mit Performances an der Satellitenübertragung anlässlich der Eröffnung der sehr medienorientierten documenta 6 in Kassel (1977): Während dieser documenta wurden Videobänder von Künstlern durch das Fernsehen ausgestrahlt, und es fanden drei Performances von Beuys, Paik und Moorman sowie Davisstatt, die live per Satellit übertragen wurden (es handelte sich allerdings um eine Ausstrahlung ohne Rückkanal, also ohne Interaktionsmöglichkeit für die Zuschauer). Die Sendung endete mit der Performance »The Last Nine Minutes« von Douglas Davis, bei der der Künstler versuchte, den Fernsehbildschirm symbolisch zu durchbrechen und eine direkte Kommunikation mit den Zuschauern herzustellen. Die Sendung wurde live in mehr als 30 Länder übertragen und hat damit wahrscheinlich die größte Menge von Zuschauern erreicht, die jemals an einem Kunstereignis ›teilgenommen‹ haben.
Douglas Davis war in den 1960er und 1970er Jahren einer der ersten Künstler, der die neuen Telekommunikationstechnologien zur Herstellung von dialogischen Kommunikationssituationen benutzt hat. So trat er zum Beispiel in einer seiner ersten Fernsehperformances »Talk Out!« (1972) mit dem Publikum über Telefon und Drucker in einen Dialog, der live von dem Fernsehsender WCNY-TV ausgestrahlt wurde. Davis hat seither in seinen Arbeiten immer wieder versucht, Massenmedien wie das Fernsehen zu
›entmassen‹, indem er sie zu Medien eines privaten, intimen Dialogs mit seinem Publikum umfunktionierte.[31] Davis hatte bereits 1976 das weltweit erste Satellitenprojekt »Seven Thoughts« im Houston Astrodome realisiert, dem damals größten überdachten Stadion der Welt. Während der nur zehnminütigen Sendung, die potentiell von allen Fernseh und Radiostationen weltweit empfangen werden konnte, die Comsat-Empfänger waren, sprach Davis in dem völlig leeren Stadion sieben sehr persönliche Gedanken in ein Mikrofon. Davis betont, dass für ihn die »Privatheit dieser Sendung«[32] und der Wunsch wichtig waren, in persönlichen Kontakt mit seinem Publikum zu treten. Sehr deutlich wird dieses zentrale Anliegen auch in Davis' »Austrian Tapes« (1974). Nam June Paik, der ja auch schon 1977 an der Satellitenausstrahlung der Eröffnung der documenta 6 teilgenommen hatte, realisierte mit »Good Morning, Mr. Orwell« am 1. Januar des ›Orwell‹-Jahres 1984 seine erste Satellitenperformance mit Rückkanal in Form einer weltweit zu empfangenden Fernsehsendung.[33]
Die künstlerischen Satellitenprojekte der 1970er Jahre waren zwar auf Offenheit und Partizipation angelegt, ermöglichten jedoch immer nur einer kleinen Gruppe von Künstlern die Teilnahme. Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz fehlte in diesen Telekommunikations- und Satellitenperformances daher vor allem das soziale, emanzipatorische Element, das eine Alternative zum massenmedialen Gebrauch der Sendemedien darstellen könnte.[34] Sie sind nicht an Telekommunikationsprojekten als elitären und exklusiven ›Kunstevents‹ interessiert, sondern betonen das soziopolitische Engagement ihrer Projekte: »Für uns sind Kommunikations- und Informationssysteme Umgebungen, in denen Menschen leben«, sagt Rabinowitz. »Daher schauen wir uns die Ästhetik dieser Umgebungen an, fragen also, wie dieser Raum geformt ist. Die Gestaltung eines solcherart ›geformten‹ Raumes entscheidet darüber, was mit den in ihm enthaltenen Informationen passieren kann.«[35] Diese Aussage hat auch mehr als zwanzig Jahre später nichts von ihrer Aktualität verloren. Im Gegenteil: Je mehr sich die
Aktivitäten von Menschen in den Datenraum (zum Beispiel des Internets) verlagern, desto wichtiger ist ein Bewusstsein von den ermöglichenden beziehungsweise verhindernden Eigenschaften des Code, auf dem diese virtuellen Räume basieren.[36]
Im Jahr der documenta 6 (1977) produzierten Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz das »Satellite Arts Project«, bei dem zwei Gruppen von Tänzern an verschiedenen Orten miteinander interagierten. Deren Bilder wurden dergestalt auf dem Bildschirm zusammengefügt, dass es so aussah, als würden die 3000 Kilometer entfernten Menschen miteinander tanzen. 1980 folgte Galloways und Rabinowitz' Satellitenprojekt »Hole in Space«, das viel offener – und partizipatorischer – als das »Satellite Arts Project« konzipiert war und für viele nachfolgende Projekte wegweisend werden sollte. 1984 schließlich entwickelten Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz anlässlich der Olympischen Spiele in Los Angeles mit dem »Electronic Café« den Prototyp aller Internetcafés, und dies lange vor dem Internetboom der 1990er Jahre. Das »Electronic Café« war einmultimediales Computer- und Videonetzwerk, das sieben Wochen lang fünf von verschiedenen Volksgruppen bewohnte Bezirke von Los Angeles in Echtzeit verband und so einen Austausch ermöglichen sollte.[37] Das Konzept dieses klar auf soziale Vernetzung ausgerichteten Prototyps des »Electronic Café« ist bis heute hochaktuell: »Jeder Nutzer hat uneingeschränkten interaktiven Zugang zu den Datenbasen und […] kann jederzeit Botschaften senden, Akten anlegen, andere Mitteilungen lesen und Kommentare und Anregungen durch öffentlich zugängliche Terminals in Bibliotheken, Lebensmittelgeschäften, Kaffeehäusern und Gemeinschaftszentren vorbringen. […] ein Instrument für kollektives Denken, Planen, Organisieren, Entscheiden.«[38] In diesem Sinne ist das »Electronic Café« ein direkter Vorläufer des 1986 gegründeten Art Com Electronic Network (ACEN) und auch von Kontext-Systemen der 1990er Jahre wie The Thing (New York), De Digitale Stad (Amsterdam) und Internationale Stadt (Berlin).
Das Art Com Electronic Network (ACEN) wurde 1986 von Carl Loeffler und Fred Truck gegründet. Es handelte sich um eine Mailbox innerhalb des 1985 von Steward Brand gegründeten, legendären Bulletin Board Systems »Whole Earth Lectronic Link (WELL)«[39] in San Francisco. ACEN war ein »elektronischer Ausstellungsraum«, der sich zeitgenössischer Kunst widmete, die mit neuen Kommunikationstechnologien arbeitete. Außerdem ermöglichte ACEN seinen Nutzern den Zugang zu elektronischen Publikationen, zu einem Mailsystem und zu einer »elektronischen (virtuellen) Einkaufsstraße mit kunstbezogenen ›Geschäften‹«[40] – dies ein Jahrzehnt (!) vor dem Einzug von E-Commerce ins Web.
The Thing (seit 1991) war das nächste Projekt, das aus einer konzeptuell orientierten Kunstszene heraus in den neuen Kommunikations-, Distributions- und Produktionsraum der Datennetze trat. Initiiert von dem deutsch-amerikanischen Künstler Wolfgang Staehle ging The Thing Ende 1991 als Mailboxsystem in New York ans (Telefon-)Netz. 1992 kamen der zweite Knoten, TheThing Köln, dazu, im November 1993 The Thing Wien und bald auch The Thing Berlin und andere. Den wichtigsten, weil (inter)aktivsten Bereich von The Thing stellten die verschiedenen Messageboards dar, Foren für Diskussionen zu Kunsttheorie, News und Klatsch, fortlaufende Dialoge und offene Informationsflüsse sowie einige Online-Versionen von Kunstzeitschriften. Neben diesen Diskussionsforen bot The Thing auch Kunstwerke in Form von Grafiken an, die über das Netz auf den Heim-PC geladen werden konnten (Peter Halley). Staehle sieht die theoretischen Wurzeln von The Thing explizit in den 1960er Jahren und beruft sich auf Joseph Beuys: »Beuys ging es um die soziale Skulptur, eine künstlerische Produktion, die eine Gruppe oder eine Gemeinschaft zusammen macht. The Thing ist so eine Skulptur: es realisiert die Beuyssche Idee von der direkten Demokratie, vom politischen Gemeinwesen als sozialer Struktur. Gleichzeitig stellt es eine Erweiterung des Kunstbegriffs dar.«[41] Seit 1995 ist The Thing unter einer neuen Oberfläche im World Wide Web des Internet präsent und fungiert auch hier als Plattform für Produktion und Präsentation von Kunst und ihren Diskursen.
1994 und 1995 entwickelten sich eine Reihe virtueller ›stadtähnlicher‹ Gemeinschaften im damals neuen World Wide Web (WWW). Ein wichtiges Anliegen dieser Projekte war die Forderung nach breit angelegtem ›access for all‹, also erschwinglichem Zugang zum Internet und seinen Ressourcen – den es in der ersten Hälfte der 1990er Jahre noch nicht gab. Das in diesem Kontext wohl bekannteste Projekt war De Digitale Stad (DDS) in Amsterdam, die im Januar 1994 ans Netz ging. Die DDS entwickelte sich in kürzester Zeit zu Europas größtem öffentlichen Freenet.[42] Ende 1994 gründete sich nach dem Vorbild der DDS in Berlin die Internationale Stadt[43] (1994–1997), die 1995–1996 das wohl prominenteste Projekt der deutschen Netzszene war. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, als unabhängiger Internetprovider kulturellen Projekten die Präsenz im Internet zu erleichtern. Die Internationale Stadt bot ihren bis zu 300 ›EinwohnerInnen‹ günstige Internetzugänge und Serverplatz für eigene Experimente an – zu einer Zeit, als privater Internetzugang noch fast unbezahlbar war, war das nicht zu unterschätzen. Einen anderen Weg als DDS oder Internationale Stadt hat das im März 1995 in Wiengegründete Institut für neue Kulturtechnologien Public Netbase eingeschlagen. Public Netbase verfolgte zunächst ähnliche Ziele wie die Internationale Stadt, entwickelte sich aber immer mehr zu einem Content Developer und organisierte zuletzt unter anderem seit 2000 das Projekt »world-information.org« in Brüssel, Wien, Amsterdam, Belgrad und New Delhi.
Bereits vor dem Internetboom der 1990er Jahre haben Künstler komplexe Kommunikationsstrukturen und vernetzte, kollaborative Schreibprozesse in textbasierten Systemen experimentell erprobt. Die historisch auf die »Cadavre-exquis«-Experimente der Surrealisten zurückgehenden kollektiven Schreibprojekte stellen das Autor-Text-Leser-Verhältnis radikal in Frage[44] und korrespondieren mit dekonstruktivistischen Vorstellungen des Textes als Gewebe ( Jacques Derrida), Theorien der Intertextualität ( Julia Kristeva) und dem postmodernen »Tod des Autors« (Roland Barthes).
1980 lernten sich auf der Konferenz »Artists's use of telecommunications« im San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA) eine Reihe von Künstlern kennen, die in den folgenden Jahren an wichtigen künstlerischen Telekommunikationsprojekten teilnehmen sollten. Über Satellit und das Computersystem der Firma I. P. Sharp (IPSN) waren Künstler aus anderen Ländern zugeschaltet. Neben dem Organisator Bill Bartlett nahmen unter anderem GeneYoungblood, Hank Bull (Vancouver), Douglas Davis und Willoughby Sharp (New York), Norman White (Toronto) und Robert Adrian X (Wien) teil.[45] Aus dieser Konferenz entstanden in den folgenden Jahren über das Time-Sharing- Netzwerk von I. P. Sharp Associates eine Reihe von kollaborativen Schreibprojekten. Das Wiener Büro von I. P. Sharp entwickelte hierfür – angeregt und unterstützt von Robert Adrian X – 1980 ein einfaches »interkontinentales, interaktives, elektronisches Kunst-Austausch-Programm, das für Künstler und alle anderen, die sich für alternative Einsatzmöglichkeiten neuer Technologien interessieren, entworfen worden ist«. ARTEX (Artist's Electronic Exchange Network), so der Name dieser Software, »wurde mit Absicht einfachgehalten, so dass auch unerfahrene und unspezialisierte Teilnehmer damit arbeiten können, und die Kosten so niedrig wie möglich gehalten werden können«.[46] Das elektronische Mailboxnetz ARTEX bestand von 1980–1991 und wurde von circa 35 Künstlern weltweit benutzt.[47] Das Internet selbst beziehungsweise das Arpanet und auch das Usenet waren damals noch einer fast ausschließlich akademischen Nutzergruppe vorbehalten.[48] Und auch lokale BBS-Mailboxsysteme, bei denen sich Nutzer zum Ortstarif einwählen konnten, entstanden verstärkt erst seit Anfang der 1980er Jahre. Insofern war das ARTEX-Netz richtiggehend revolutionär. Mitglieder der ARTEX-Community organisierten im Laufe der 1980er Jahre internationale Telekommunikationsevents, die die Entwicklungen der 1990er Jahre bereits vorwegzunehmen schienen.
Erste Ansätze für vernetzte Schreibprozesse im Kunstkontext lieferten neben Robert Adrian X' »Die Welt in 24 Stunden« (1982) auch Roy Ascotts »La plissure du texte« (1983), Norman Whites »Hearsay« (1984), das kollaborative Minitel-Schreibprojekt, das anlässlich der Ausstellung »Les Immatériaux« (1985)
stattfand, John Cages »The First Meeting of the Satie Society« (1986), das von Roy Ascott konzipierte »Planetary Network« auf der Biennale di Venezia (1986) oder in Deutschland das hypertextuelle Projekt »PooL Processing« (seit 1988) von Heiko Idensen und Matthias Krohn. Roy Ascotts[49] »La plissure du texte« (»Die Faltung des Textes«) (1983) wurde anlässlich der von Frank Popper organisierten Ausstellung »Electra 1983« im Musée d'Art Moderne de la Ville Paris durchgeführt, welche einen Überblick über den Einsatz von Elektrizität in der Kunst gab. »La plissure du texte« war ein kollaboratives Schreibprojekt, bei dem Künstler in elf Städten in Australien, Nord-Amerika und Europa über das ARTEXSystem gemeinsam ein Märchen auf verschiedenen Erzählebenen schrieben.[50] Der Titel war eine Anspielung auf Roland Barthes' Buch »Le Plaisir du Texte« (»Die Lust am Text«). Das kollaborative Schreibprojekt war vom 11.–23. Dezember 12 Tage lang 24 Stunden pro Tag online. Ein weiteres computergestütztes, kollaboratives Schreibprojekt fand anlässlich der von Jean-François Lyotard kuratierten Ausstellung »Les Immatériaux« (Centre Georges Pompidou, Paris 1985) statt: Jacques Derrida, MichelButor, Daniel Buren und etwa 20 anderen französischen Intellektuellen wurde je ein privater Minitel- Anschluss (Minitel war die sehr erfolgreiche französische BTX-Variante) zur Verfügung gestellt, über den sie bestimmte Begriffe online diskutierten. Diese Diskussion konnte vom Publikum in der Ausstellung in Echtzeit verfolgt werden. Mit der Öffnung des Internet in den 1990er Jahren beginnt – vor allem mit der nun um sich greifenden Nutzung von Mailinglisten und textbasierten MOOs und MUDs – eine ganz neue Phase kollektiver, vernetzer ›Schreibprojekte‹ (vergleiche Abschnitt »Open Source, Open Text, Open Theory: Offene und partizipative (Mit-)Schreibprojekte im WWW«).<BR>
Mit dem von Roy Ascott konzipierten »Planetary Network« auf der Biennale di Venezia 1986 endet nach Robert Adrian X die erste Phase der künstlerischen Telekommunikationsprojekte. Bis zum Beginn der breiteren Nutzung des Internets ab Mitte der 1990er Jahre gab es eine Zwischenphase, die sich durch
gegenläufige Strömungen auszeichnete. Wie in einer Momentaufnahme werden diese unterschiedlichen Positionen im Band 103 der Zeitschrift Kunstforum International dokumentiert, die sich anlässlich der Ars Electronica 1989 mit dem Thema »Im Netz der Systeme« auseinandersetzt. Während Peter Weibel in dem Band den Begriff der ›interaktiven Kunst‹ betont, lassen sich die Künstlerbeiträge in solche Arbeiten aufteilen, die mit dem (alten) Medium Radio arbeiten, und jene, die »bereits eine neue Künstleridentität im Einklang mit den telematischen Technologien andeuten«.[51] Zu diesen gehören die Beiträge von Roy Ascott, Robert Adrian X und Carl Loeffler. Während Ascott[52] für eine fast ungebrochene »Metaphysik der Daten und Interfaces« (Ries) steht (und insofern mit dem (pseudo-) metaphysischen Anspruch der bereits erwähnten Arbeiten von Douglas Davis parallel geht), ist der Beitrag von Adrian X über sein Projekt »Die Welt in 24 Stunden«[53] (1982) von Ernüchterung geprägt: Er erklärt das Projekt für »historisch obsolet«. Adrian X begründet dies nicht nur mit der ausgebliebenen technischen Revolution (breiterer Zugang zum Internet wurde erst Mitte der 1990er Jahre möglich!), sondernvor allem mit der noch ausstehenden Revolution in der interpersonellen Kommunikation: »Die hohen Kosten der Hardware sind nur ein Teil des Problems – viel entscheidender sind die Trägheit und das Beharrungsvermögen von 200 Jahren industrieller Kultur und ihres konsumeristischen Nachspiels. Niemand in unserer Kultur, Künstler eingeschlossen, wird darin ausgebildet oder dazu ermutigt, andere an seiner/ihrer kreativen Aktivität teilhaben zu lassen. Die Fähigkeit zu geteilter schöpferischer Tätigkeit aber ist notwendige Voraussetzung zum interaktiven Gebrauch von Kommunikationstechnologie.«[54] Ganz anders dagegen der Beitrag von Carl Loeffler, der 1986 zusammen mit Fred Truck die Mailbox Art Com Electronic Network (ACEN) gegründet hatte.[55] Loeffler stellt ein Dispositiv vor, das »alle Utopien der frühen Netzwerkprojekte aufnimmt und zugleich die Grenzen zwischen Kunst und anderen gesellschaftlichen (vor allem ökonomischen) Zonen ineinander greifen lässt«.[56] ACEN nimmt damit schon die Internetprojekte der 1990er Jahre und ihre ›kleinen‹, digitalen Medien konzeptuell vorweg (vergleiche Abschnitt »Kontext- Systeme,
Kommunikationsplattformen und digitale Städte«).
Symptomatisch für diese Zwischenphase sind darüber hinaus künstlerische Projekte, die sich ›großer‹, analoger Medien wie Radio und Fernsehen bedienen und die vielfach als organisatorisch höchst aufwendige Reiseprojekte realisiert werden. Im Rückblick scheint es fast so, als ob Gruppen beziehungsweise Projekte wie Minus Delta t, Radio Subcom,[57] Ponton/Van Gogh TV und das Kunst-Raum-Schiff MS Stubnitz ihre aufwändig ausgestatteten Medienlabore in Bussen, Containern, auf LKWs und Hochseeschiffen in Ermangelung digitaler Netze auf die Reise schicken. Motiviert wurden diese Gruppen jedoch vor allem von der Idee kommunikativer, zwischenmenschlicher Vernetzung.
Die Gruppe Ponton/Van Gogh TV[58] ist ein typisches Beispiel für den Brückenschlag von Ideen der Intermedia-Kunst zu den elektronischen Medien. Einige der wichtigsten Gruppenmitglieder sind Karel Dudesek, Benjamin Heidersberger, Gerard Couty und Mike Hentz. Ihre Wurzeln liegen in der 1978 gegründeten Gruppe Minus Delta t,[59] die mit dem 1980 begonnenen »Bangkok-Projekt« bekannt geworden war. DessenKonzept war es, einen sechs Tonnen schweren Granitblock per LKW von Europa nach Asien zu transportieren und dies zu einem umfassenden Kunstereignis mit Events und Performances in den Städten auf dem Weg dorthin zu machen. Der Einsatz aller verfügbaren Medien zur Dokumentation der Events war dabei notwendiger Teil des Ganzen. Mit der erstmals unter dem Titel »Ponton Projekt« realisierten Containercity zur Ars Electronica 1986 tritt der Einsatz elektronischer Medien in den Vordergrund. Die Medien sind nicht mehr nur Mittel zum Zweck, sondern zunehmend Träger der eigentlichen Botschaft. Dies führt über mehrere Zwischenstufen bis zur »Piazza Virtuale« anlässlich der documenta 9 (1992), diesmal unter dem Gruppenamen Van Gogh TV. Hier wurden erstmals die Möglichkeiten von Fernsehen als interaktives Massenmedium erprobt. Die Zuschauer konnten über Telefon ganze 100 Tage lang in das zum Multimediabildschirm transformierte TV-Programm eingreifen.[60]
Van Gogh TV realisierte 1992 mit unglaublichem Aufwand ein offenes Sendekonzept, das nur kurze Zeit später mit dem Internet und neuen, digitalen Medien
viel leichter zu realisieren war. Mit der Öffnung des Internets Mitte der 1990er Jahre konnte jede/r Nutzer/in potentiell – auch als Reisende/r[61] – zum Sender werden,[62] und das ohne HighTech-Equipment (allerdings auch ohne ein Massenpublikum wie das des Fernsehenszu erreichen).[63]
In Deutschland war eines der ersten Kommunikationsprojekte unter Einbeziehung des elektronischen Netzwerks Internet (noch vor dem WWW) die 1993 von Barbara Aselmeier, Joachim Blank, Armin Haase und Karl Heinz Jeron gegründete Gruppe Handshake, aus der 1994 unter anderem die Internationale Stadt hervor ging. Als interaktive Rauminstallation realisiert, bildete Handshake eine Schnittstelle zwischen elektronischem Netz und Lebenswelt. Vorbereitete Kommunikations- und Wahrnehmungsexperimente (zum Beispiel Rorschachtest) auf textueller, visueller und auditiver Basis verwiesen dabei auf kulturelle Eigenheiten und Gemeinsamkeiten der Partizipierenden. Besonders auch in der ab Mitte der 1990er Jahre, mit der Entwicklung grafischer Weboberflächen entstehenden so genannten Netzkunst sind die Vernetzungs- undPartizipationsmöglichkeiten, die das Internet bietet, von grundlegender Bedeutung. Gerhard Rühm schrieb 1975: »wirf einen hellen ton zum fenster hinaus und schick ihn um die erde. warte, bis er rückwärts durch die tür wieder eintrifft – angereichert mit allen tönen, denen er auf seinem weg begegnet ist. lass dich von diesem klang zu boden schmettern«.[64] Das Zitat liest sich wie eine poetische Umschreibung kooperativer Klangexperimente im Internet, wie sie zum Beispiel das »Xchange«-Netzwerk betreibt, das Ende 1997 vom E-Lab (heute: Re-Lab) in Riga initiiert wurde. Die teilnehmenden Gruppen in London, Ljubljana, Sydney, Berlin und vielen anderen Orten nutzen das Netz, um in Live-Audiostreams ihr Soundmaterial von unterschiedlichen Servern in verschiedenen Ländern global zu distribuieren und verschiedene Streaming-Quellen live zu mischen.[65] Xchange erforscht das Netz als Soundscape, das »spezifische Qualitäten hinsichtlich Datenübertragung, Verzögerung, Feedback und offener, verteilter Kooperationen« aufweist, so die Beschreibung im Netz. Es entsteht so ein kooperatives, über den Globus verteiltes und nur im Internet zu hörendes ›ortloses‹ Klangkunstwerk.[66]
Es ist nur konsequent, dass Douglas Davis, Pionier des interaktiven Fernsehens und Initiator früher telematischer Projekte, Anfang der 1990er Jahre im damals neuen Medium des World Wide Web (WWW) eines der ersten Netzkunstprojekte lancierte. »The World's First Collaborative Sentence«[67] (1994) ist ein einziger, nicht endender Satz, der seit 1994 von seinen Lesern immer weiter geschrieben werden kann. Davis sieht dieses Webprojekt als Fortführung seiner bis in die 1970er Jahre zurückreichenden Versuche, aus den »starren Sender-Empfänger-Paradigmen massenmedialer Medien- Schaltungen aus[zu]brechen«.[68] Das Internet ist für Davis daher das ideale, weil aktive Partizipation erlaubende Medium.[69]
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre entwickeln sich jedoch im Internet noch ganz andere Formen der Partizipation und Kooperation. Diese gehen größtenteils auf die im Internet historisch gewachsenen Prinzipien des freien Austauschs und der Geschenkökonomie zurück, bekommen jedoch in den1990er Jahren als Open Source, Open Theory oder Open Law eine ganz eigene Dynamik. Es handelt sich hierbei um kollaborative Annotations- und Redaktionssysteme, oft als sogenannte ›Weblogs‹ realisiert, die das gemeinsame Arbeiten an Projekten (Software, Enzyklopädien, Gesetze) – oft über sehr große Distanzen – ermöglichen. Diese neuen hypertextuellen Vernetzungsmöglichkeiten, die das WWW bietet und die auf den Diskussions-, Konversations- und Kooperationskulturen von Diskussionsforen, Newsgroups, MUDs und Mailinglisten aufbauen,[70] werden jetzt auch zum Produktionsparadigma von künstlerischen Netztexten. Hierfür ist der »Assoziations-Blaster« (seit 1999) von Alvar C. H. Freude und Dragan Espenschied ein gutes Beispiel. Der »Assoziations-Blaster« ist ein »interaktives Text-Netzwerk, in dem sich alle eingetragenen Texte mit nicht-linearer Echtzeit-Verknüpfung™ automatisch miteinander verbinden«.[71] Hier wirken also Leser-Autoren an einem riesigen Textgeflecht, dessen einzelne Wörter automatisch mit bereits vorhandenen Stichwörtern verlinkt werden. So entsteht ein
textuelles Gewebe, von dem, wie es heißt, »viele dachten, das WWW wäre es bereits«.[72] Die einzelnen Beiträge des Geflechts können nicht ›linear‹ der Reihe nach gelesen werden, sondern die Nutzer springen anhand der entstehenden Verknüpfungen von einem Text zum anderen. Der »Assoziations-Blaster« ist mit seiner dadurch entstehenden endlosen Assoziationskette Daniela Alina Plewes »Muser's Service« (1994) verwandt, der NutzerInnen zunächst als interaktive Offline-Version, später dann auch online über das Internet beim Tagträumen behilflich war.[73] Das »Opus«-Projekt (seit 2001) des Raqs Media Collectives aus New Delhi bietet seinen Nutzern im Internet eine Plattform an, auf der sie digitale Objekte (Video, Bild, Ton, Text) ansehen, austauschen, herunterladen, verändern und wieder hochladen und somit der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen können. Ziel ist die Schaffung eines »digitalen« oder »kreativen Gemeineigentums« (»digital«/»creative commons«), das den Regeln der Kooperationskulturen von Freier Software (Copyleft) folgt. »Opus« macht so das Prinzip von Autorschaft als prinzipiell kollektive oder gemeinsame Autorschaft explizit.
Es wird oft gesagt, dass die Netzkunst der 1990er Jahre an die ersten Telekommunikationsprojekte der 1970er und 1980er Jahre anknüpfe. Diese Verknüpfung mag zwar aufgrund der Verwendung von Telekommunikationsmedien auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen. Allerdings ergeben sich besonders hinsichtlich des Begriffs der Partizipation eklatante Unterschiede. Während in den frühen Telekommunikationsprojekten nur ein begrenzter Kreis von TeilnehmerInnen partizipierte und das Publikum seiner traditionell passiven Rolle verhaftet blieb (also nur zuschauen oder mitlesen konnte), wird mit der Verbreitung des Internets in den 1990er Jahren in gewisser Weise erstmals die Einlösung von Allan Kaprows Forderung nach der Abschaffung von Zuschauern möglich. Die Partizipationsmöglichkeiten sind im Internet gegenüber der Zeit der Telekommunikationsprojekte gewaltig gestiegen. Die offene Struktur des Netzes, die zunehmende Erschwinglichkeit von Internetzugang und vor allem von Computern und anderen ›kleinen Medien‹ machten in
den 1990er Jahren erstmals eine breite Partizipation möglich. Das soll aber nicht heißen, dass alle Netzkunstprojekte Happenings wären (im Gegenteil: auch hier gibt es eine Fülle unterschiedlicher Formate und Interaktionsformen[74]), sondern begründet vielmehr, warum sich im Netz so viele partizipatorische Prozesse und Plattformen entwickelt haben (zum Beispiel »Internationale Stadt«, »Assoziations-Blaster«, »Opus«), die von KünstlerInnen höchstens initiiert, aber nicht explizit als künstlerisches Projekt verstanden werden.
Hinsichtlich neuer Interaktionsformen erscheinen allgemein (also nicht nur im Netz) zwei Modelle als spannend und zukunftsweisend. Das eine erweist sich als konsequente Weiterführung von Ecos Konzept des »offenen Kunstwerkes«: Es handelt sich um genuin lernfähige, evolutionäre Systeme, die sich mit jedem Gebrauch durch seine BenutzerInnen weiterentwickeln.[75] Ein solches System hat Peter Dittmer mit seiner Computerinstallation »Die Amme« (seit 1992) vorgelegt. Elemente der »Amme« sind ein Computer inklusive Monitor und Tastatur, über die man mit einem selbstironisch daherkommendenComputerprogramm kommunizieren kann, sowie ein Tisch, auf dem ein mit Milch gefülltes Glas steht. Gerät das Computerprogramm während der höchst unterhaltsamen Kommunikation mit dem menschlichen Gegenüber in Rage, wirft es mittels einer mechanischen Vorrichtung das Glas Milch um.
Das andere Interaktionsmodell besteht in einer Verklammerung des virtuellen, verteilten (Netz-)Raums mit dem realen, urbanen Stadtraum. Bei »Vectorial Elevation« (2000) von Rafael Lozano-Hemmer und bei »Blinkenlights« (2001–2002) beziehungsweise »Arcade« (2002) des Chaos Computer Clubs handelt es sich um hybride Projekte, die den virtuellen Raum durch speziell entwickelte Interfaces an den realen Stadtraum zurückbinden. Beide Projekte ermöglichten Teilnehmern, über das Internet in die Installationen vor Ort einzugreifen beziehungsweise diese zu steuern und mitzugestalten. »Vectorial Elevation« bestand aus einem Dutzend in den Himmel gerichteten starken Scheinwerfern, die auf dem Hauptplatz von Mexico City installiert worden waren und über das Internet zu bestimmten Mustern ausgerichtet werden konnten. »Blinkenlights« bestand aus einer riesigen, mit
einfachsten Mitteln zu einem ›Bildschirm‹ umgebauten Hausfassade auf dem Berliner Alexanderplatz. Jedes der dem Platz zugewandten 144 Fenster entsprach dabei einem Pixel (Abmessungen: 8 x 18 Fenster beziehungsweise Pixel), der separat ansteuerbar war (›Licht ein‹/›Licht aus‹). Die Passanten beziehungsweise Zuschauer auf dem Alexanderplatz konnten über eine speziell dafür eingerichtete Telefonnummer auf dieser rudimentären Medienfassade »Pong« spielen oder über ein eigens dafür entwickeltes Web-Interface kleine Animationen programmieren, die dann auf der Fassade gezeigt wurden. Das Projekt wurde Anfang 2002 mit einem internationalen Wettbewerb abgeschlossen.
Während mit medialen Fassaden inzwischen auch schon in der zeitgenössischen Architektur experimentiert wird, siehe etwa die VEAG in Berlin oder das Gebäude der niederländischen Telekom in Rotterdam von Renzo Piano, geht es bei »Blinkenlights« nicht um den Aspekt einer dynamischen Architektur als mediales Ornament, sondern gerade um die größtmögliche Sichtbarkeit eines partizipatorischen Moments im urbanen Raum. Es geht, anders gesagt, um einen emphatischen Begriff von Öffentlichkeit.