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Angesichts der Gegensätze zwischen ästhetischen Paradigmen der Moderne und Postmoderne, vor allem solchen der Medienkunst, wird der tiefgreifende Wandel offensichtlich, den die Auseinandersetzung mit ontologischen und phänomenologischen Begriffen wie Subjekt, Wirklichkeit und Wahrheit zur Folge hat, ein Wandel, der zu einer Revision der traditionellen ästhetischen Begriffe von Autor, Schönem, Kunstwerk, Original und Betrachter führt.
Im 20. Jahrhundert versuchen verschiedene ästhetische Theorien, das Wesen von Kunst zu erforschen und zu definieren, und verschreiben sich unter dieser Prämisse einem ontologischen Diskurs, wobei die meisten ästhetischen Theorien sich auf bestimmte eingegrenzte Bereiche konzentrieren. Man kann zusammenfassen, dass ein Großteil moderner und zeitgenössischer ästhetischer Theorien sich bei der Reflexion künstlerischen Schaffens auf die Bewertung konkreter, dem ›Objekt‹ anhaftender Aspekte (wie dieformale Lösung des Werkes oder die Untersuchung seiner Strukturen), die Erforschung der ihm inhärenten erkenntniskritischen Werte oder semantische Kriterien beschränkt. Zumeist gilt, dass die ästhetischen Modelle alle Künste einbeziehen können. Die Kunst ist diesem universellen Essenzialismus entzogen, indem sie immer wieder zur Diskussion gestellt wird. Menschliche Sozialsysteme konstituieren sich als konsensuelle und dialogische Netzwerke und sind daher Koordinationssysteme in der Sprache. Kunst entsteht und existiert innerhalb dieses dialogischen Netzwerks, im Bereich zwischenmenschlicher Interaktionen sowie zwischen diesen und dem Kontext oder Medium. Von daher kann die Kunst weder eine ›besondere‹ Art von Objekten oder autonomer Bedeutung implizieren noch eine vom Beobachter unabhängige Erfahrungsform darstellen. Kunst/System und Ästhetik ebenso wie Wissenschaft, Religionen, Philosophien oder Ideologien werden folglich als unterschiedliche konsensuelle Beschreibungsbereiche verstanden, die kognitiver Art sind. [2] Außerhalb dieses sozialen, in der Sprache existierenden Konsensbereichs gibt es keine Kunst, auch kein autonomes Objekt, das als solches
Bedeutung erlangt. Der Beobachter (oder die Gemeinschaft) ist derjenige, der nach seiner, innerhalb eines kollektiven Konsensbereichs stattfindenden Unterscheidungsoperation zeitgebundene Kriterien anwendet, um die Bedeutungsbeziehungen eines Objekts festzustellen. Konsequenterweise ist die Beschreibung eines Werkes oder einer Aktion als Kunst und die seiner Merkmale als ästhetisch eine vom Beobachter oder von der Gemeinschaft durchgeführte Operation.
Eine diesem Ansatz entsprechende ästhetische Theorie kann folglich nicht auf orthodoxen oder reduktionistischen Methoden oder Kriterien aufbauen, sondern muss von weitgehend prozessualen, kontextuellen und interrelationalen Modellen ausgehen. Selbst der Terminus ›Kunst‹, seine Bedeutung und sein Gebrauch sind Teil dieses konsensuellen Systems. Diese Überlegungen sind von fundamentaler Bedeutung, wenn man interaktive künstlerische Arbeiten eingehend analysieren will, da die Paradigmen dieser Art Kreationen aus essenzialistischer oder ontologischer Perspektive nicht zu erfassen sind.
Die »Theorie der Endophysik«, die seit mehr als einem Jahrzehnt erarbeitet wird, geht vor allem aus den Arbeiten des deutschen Wissenschaftlers Otto E. Rössler hervor, dem auch bei der Entwicklung der Chaostheorie (Hyperchaos; Rössler-Attraktor, 1976) eine wichtige Rolle zukommt. Endophysik, als Physik von innen, geht von der Unterscheidung zwischen Systemen und Modellen aus sowie von den Prinzipien der beobachterobjektiven Endorealität und der unzugänglichen Exorealität. Im Mittelpunkt der Analyse steht die Erkenntnis, dass der Mensch Teil des Universums und Beobachter der Welt ist und dass die Welt auf der Schnittstelle zwischen dem Beobachter und dem Rest der Welt definiert ist, weshalb man notwendigerweise interner Beobachter ist und keinen Zugang zu der Schnittstelle hat. Weder kann man als Beobachter aus der Welt heraustreten noch die Welt, in der man lebt, von außen beobachten, woraus sich ergibt, dass das Beobachtete, die Wirklichkeit, immer mit Elementen von Subjektivität behaftet ist. Um eine explizite externe Beobachtung zu ermöglichen, schlägt
die Endophysik vor, Modellwelten zu erstellen, die Exomodelle von Endosystemen simulieren, zum Beispiel in einem computersimulierten Modelluniversum.
Nach Otto E. Rössler erlebt das 20. Jahrhundert nach der Relativitätstheorie, der Quantenmechanik, der Chaostheorie und den Selbstorganisationstheorien zum fünften Mal eine radikale Infragestellung des Realitätsverständnisses. Die Etappen der Relativierung von Objektivität durch Lichtgeschwindigkeit, Beobachtung und Unvorhersehbarkeit ergeben eine kohärente Folge, die von der Endophysik erweitert wird, indem sie nach der traditionellen Annahme des externen Beobachters (Exophysik) den internen Beobachter einführt. [3] »Diese interne Betrachtung unterscheidet sich vom quantenphysikalischen Problem der Beobachtungsabhängigkeit dadurch, dass dort das Messproblem immer noch als ein objektives angesehen wird (und die Realität als objektiv kapriziös), während in der Endophysik der interne Beobachter in einem exakten Sinn konstitutiv ist. Die Relativierung und Beobachterabhängigkeit der Welt wird dadurch um vieles radikaler.« [4]
Nach Rössler ist seit der Einführung der Perspektivein der Renaissance und der Gruppentheorie im 19. Jahrhundert bekannt, dass die Weltsichten von der Lokalisation des Beobachters im Sinne einer Ko-Verzerrung abhängig sind. Ein Wechsel der Beobachterposition hat direkten Einfluss auf den Blickwinkel der Beobachtung. In der Endophysik bedeutet das neue Ko-Varianzprinzip, dass Bewegungen ›innerhalb‹ des Beobachters Verzerrungen in der Welt bewirken. Dies impliziert, dass der Anspruch auf eine vollständige Beschreibung der Welt sich nur von einer Position außerhalb der Welt realisieren lasse. Eine solche Position außerhalb der Welt lässt sich allerdings nur in einer Modellwelt und nicht in der Wirklichkeit selbst einnehmen. So zeigt die Endophysik, in welchem Maße die objektive Realität notwendigerweise vom Beobachter abhängig ist. Die radikale Konsequenz dieser Feststellung ist, dass die Welt nicht der Ort ist, »wo man zu sein glaubt, sondern der Ort der Schnittstelle« [5] .
Die Schaffung solche Schnittstelle ist erst möglich mit dem Aufkommen des Computers. Deshalb schlägt die Endophysik eine Modell- und Simulationstheorie vor. Diese Schnittstelle ist nicht im Innern der Welt
zugänglich, sondern nur eine simulierte Welt, ein Modell, ermöglicht den Zugang zu einer solchen Schnittstelle, zum Beispiel in Form einer künstlichen, computergenerierten Welt. In einem vom Computer simulierten ›Universum‹ kann der Beobachter eine Position außerhalb des nicht-trivialen Universums einnehmen. Diese mit Modellwelten arbeitende Methode bietet die grundsätzliche Möglichkeit, sich über die Schnittstelle zwischen Beobachter und Welt hinauszubegeben (einen Blick hinter den Vorhang zu werfen). Die Endophysik erweist sich insofern als eine Erweiterung der Naturwissenschaften.
Von daher sind Beobachter und Schnittstelle zentrale Forschungsfragen der Endophysik. Der in der Theorie der Endophysik implizierte konzeptuelle Wandel hängt mit zwei Feststellungen zusammen: Zum einen, dass die objektive Wirklichkeit nur die Innenseite (Endo) einer Außenwelt (Exo) ist, weshalb die wahre Realität eine andere ist, als sie den Menschen erscheint, [6] und zum anderen, dass die Wahrheiten unterschiedlich sind, je nachdem, ob ihr Ursprung von innen oder von außen stammt. »Perspektive ist, wie wohlbekannt ist, nicht vollständigobjektiv — sie ist ›Beobachterobjektiv‹. Die Welt zu verzerren ist unvermeidbar, wenn man ein Beobachter ist.« [7] »Die Welt, die einer virtuellen Realität ohne Notausgang gleicht, kann nur von innen betrachtet werden. Man kann aber Welten einer niedrigeren Stufe im Computer erzeugen, in denen die Schnittstelle zwischen dem expliziten Beobachter und dem Rest seiner Welt explizit erforscht werden kann.« [8] Diese Forschung definiert sich als Meta- Experiment oder Experiment der zweiten Stufe, das auf der Unterscheidung zwischen Endo und Exo gründet.
Die Suche nach einer internen Wechselwirkung zwischen Betrachter und Werk ist eines der bedeutendsten Forschungsfelder der Medienkunst. Erste Impulse ergeben sich aus der Erfindung von Visualisierungstechnologien digitaler Information und von Immersionssystemen, die einen höheren Grad von Feedback und eine erweiterte Beziehung zwischen Beobachter und System erlauben. Morton Heilig entwickelt 1962 das »Sensorama«, ein Environment, das aus einer multisensorischen Stereo-Kinokabine für eine
Person besteht. Verschiedene Simulationsstrategien, wie dreidimensionale Geräusche, Vibrationen, Luftzüge oder binokulare Ansichten des Films, vermitteln dem Zuschauer taktische, visuelle und olfaktorische Sinneseindrücke. Heiligs Forschungsinteresse konzentriert sich darauf, wie die Zuschauer durch die Integration der menschlichen Sinne in den Film hineinversetzt und die künstlerischen Ausdrucksformen erweitert werden können.
Im Jahr 1967 konzipiert Walter Pichler den »TV-Helm«, auch »Das tragbare Wohnzimmer« genannt, eine dem Kopf angepasste TV-Maschine, ein Vorgänger des Datenhelms zur Visualisierung von Virtueller Realität. Pichler schafft somit den paradigmatischen Wechsel in der Positionierung des Betrachters, indem er die Perspektive der Werke von der des Beobachters abhängig macht. Die Grundidee Pichlers besteht darin, das Subjekt zu einem internen Beobachter des Systems zu machen und dadurch von der realen Welt zu trennen (eine direkte Kritik an der Isolierung des Menschen im Zeitalter der Telekommunikation). Dies ist möglich, indem das Blick- und Wahrnehmungsfeld des Subjekts komplett vom System eingenommen wird. [9]
VR, KI und KL: Ästhetiken der Simulation als Endosysteme Der »TV-Helm« stellt einen Versuch dar, die Konvergenz des Bildreproduktionssystems und der beobachterzentrierten Perspektive in einem einzigen, künstlichen und umfassenden (geschlossenen) Raum praktisch umzusetzen. Die endgültige Fusion gelingt mit den Entwicklungen von interaktiven Computergrafikprogrammen, die auf Monitoren visualisiert werden, mit der Optimierung stereoskopischer Datenhelme — wie dem Head-Mounted Display von Ivan Sutherland — sowie mit dem »VIEW-System« [10] (Virtual Interface Environment Workstation), an dem ab 1985 geforscht wird. Durch diese Technologien weicht die Idee der externen Partizipation des Publikums dem Konzept der Interaktivität oder internen Mitwirkung: Werk und Interaktor treten in eine interdependente Beziehung.
Der Ansatz, den internen Interaktor an einer künstlich erzeugten Modellwelt teilnehmen zu lassen, zieht die Möglichkeit in Betracht, sich über die Mensch-Maschine-Schnittstelle hinaus zu begeben (was Rössler als »Blick hinter den Vorhang« oder Scott Fisher als »ein Tor zu anderen Welten« interpretiert).
In dieser Art simulierter Welt oder Endosystem bewegen sich die internen Beobachter in zwei Wirklichkeiten: derjenigen ihres Bewusstseins, in einer Simulation mitzuspielen, und derjenigen ihrer Wahrnehmung, die suggeriert, dass ihre Anwesenheit und ihre Handlungen aktiven Einfluss auf die künstliche Welt ausüben, sodass sich die ihrer Beobachtung eigenen Verzerrungen in der virtuellen Umgebung reflektieren. Die Ästhetik der Simulation steht in dieser Art von interaktiven Werken in enger Beziehung zur Endoästhetik: der Interaktor erfüllt eine Funktion innerhalb des Werkes; er teilt eine raumzeitliche Erfahrung im ›Innern‹ des Systems; das Werk erscheint als Simulation einer besonderen Welt, als ›Endosystem‹.
Je nach dem Grad, in dem sich der Interaktor mit dem System identifiziert und verbunden fühlt, kann man von schwacher Interaktivität oder Simulation sprechen — wie etwa bei fiktiven Bildern von Spielen, in denen der Interaktor sein Bewusstsein von Nicht-Wirklichkeit beibehält — oder von starken Simulationen oder unbewussten Fiktionen, bei denen die Erlebnisse isoliert erfahren oder mit anderen sich im gleichen fiktionalen Raum befindlichen Personen geteilt werden.
Jeder Ansatz zu einer Ästhetik der Simulation und Endoästhetik als Theorie interaktiver Kunst sollte berücksichtigen, dass die Diskurse von ›künstlichen Welten‹, ›virtuellen Realitäten‹ oder ›Modellwelten‹ sich nicht auf Projektierungen beziehen können, die sich unabhängig vom kognitiven System des Menschen, dessen Verständnis und seiner Beziehung zur (möglichen oder realen) Umgebung ergeben, da die Bezüge mit soziokulturellen und kognitiven Verhaltenskonfigurationen und Erfahrungen verhaftet bleiben. Vielleicht liegt ein Teil der Problematik von Virtueller Realität im Terminus selbst begründet, da er die Existenz einer parallelen Welt ohne Bezug zur realen Welt nahelegt. Da Geschichtsmodelle immer vielfältige Operationen in der Sprache sind, die auf Selektionsprozessen von Daten gesellschaftlicher oder individueller Gedächtnisinhalte und auf der (Re-)Interpretation der Erfahrungen und des Wissens anhand bestimmter Kriterien beruhen und zudem immer im Bezug zum System stehen, können Geschichtskonstruktionen nicht aus einer objektiven und neutralen Wiedergabe von vergangenen Ereignissen
bestehen, da Aussagen über Realität nicht viabel sind. Auf ähnliche Weise vollzieht sich die Konstruktion virtueller Realitäten, in der sowohl die jeweiligen Welterfahrungen wie auch Kenntnis und Vorstellungskraft bei der Selektion und Zusammensetzung von Daten mitspielen.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit »Liquid Views or The Virtual Mirror of Narcissus « (1992) von Monika Fleischmann/Wolfgang Strauss in Zusammenarbeit mit Christian A. Bohn. [11] Ausgehend vom Mythos des Narziss, greifen die Künstler auf die Metapher des Wassers als Spiegel zurück, in dem der Betrachter sich mit sich selbst konfrontiert sieht und in dem sich das digitale Universum reflektiert. Da in dieser Installation das technische Interface als solches nicht bewusst wahrgenommen wird, stellt sich eine starke Simulation oder unbewusste Fiktion ein, bei der reale und virtuelle Räume sensorisch miteinander gekoppelt werden. Das reale Bild des Beobachters, reproduziert im fiktiven Bild des Spiegel-Bildschirms, betont die Dualität zwischen Weltbeobachtung und Selbstbeobachtung (Selbsterkenntnis) und dem sensorischen Spannungsverhältnis zwischen derImmaterialität des Virtuellen und der Materialität des realen Körpers. Diese verschiedenen Realitätsebenen (Exo und Endo) verdeutlichen das Doppelspiel der Endoästhetik.
Der französische Künstler Louis Bec erforscht seit 1970 künstliche Systeme sowie die Beziehung von Kunst, Wissenschaft und Technik. Er betont, dass Künstliches Leben die Verbindung zwischen künstlerischen Experimenten und wissenschaftlichen Visionen unterstreiche. Nach Bec würden die maschinellen KLProzesse zum Entstehen einer neuen Ästhetik der Autonomie beitragen, in der sich die bedeutendsten Produktionen des künstlichen Systems als programmatisch erweisen würden. Diese Ästhetik sei Ausdruck der Interaktionen zwischen verschiedenen Teilen des Systems. Sie übertrage biologische Kenntnisse in den Bereich der Technologie und umgekehrt. Es handle sich um eine Ästhetik, die durch sukzessive Zustände gekennzeichnet sei, die in Form von morphogenetischen Transformationen sichtbar werden; eine Ästhetik der Visualisierung, in der etwas Verstecktes neu zu Tage trete, neu entstehe; es sei eine Ästhetik, die als Prozess zu verstehen sei, da es in
der Interaktivität keine instrumentalisierte Antwort gebe, sondern lediglich potenzielle Perspektiven, die sich der Virtualität der Kreation annähern würden.
Becs Ästhetik der Autonomie geht davon aus, dass virtuelle Wesen dazu fähig sind, mittels Reproduktion und Mutation neue virtuelle Wesen mit einer anderen Ästhetik hervorzubringen. Andererseits impliziert dieses Verfahren die ›Ästhetik der Amputation‹, was für Bec soviel bedeutet wie den von der technologischen Erweiterung erzeugten Zwang, sich der künstlichen Umwelt anzupassen und folglich obsolet gewordene Fähigkeiten zu vergessen oder diesen zu entsagen. Indem der Zoosystemiker in die konstitutive Logistik des Lebenden eingreift, die sich durch Unbeständigkeit, Komplexitätssteigerung, Autonomie oder Selbstorganisation auszeichnet, stellt er eine Praxis der ›Ästhetik des Wiederflottmachens‹ auf. [12]
Andere Arbeiten, die sich mit der Beziehung zwischen lebenden und künstlichen Systemen beschäftigen, bemühen sich um eine noch tiefere Wechselbeziehung zwischen Werk und Beobachter. Diese ist eine wichtige Voraussetzung für die Werke der Künstlerin Ulrike Gabriel, die die Funktionsweisedes Systems von der des Körpers des Interaktors abhängig macht. In der interaktiven KL-Installation »Terrain 01« aus dem Jahre 1993 sind interne und externe Welt durch ein interaktives Dispositiv, das einen indirekten Kontakt zwischen externem Beobachter (Gehirn) und den Robotern herstellt, aneinandergekoppelt. Das Resultat ist eine Art immaterielle Kommunikationsform zwischen beiden Systemen. [13]
Dieses Beispiele liefern anschauliche Hinweise auf jene konzeptuellen Transformationen, die sich aus der künstlerischen Anwendung von interaktiven Systemen wie denen von Virtueller Realität, Künstlicher Intelligenz und Künstlichem Leben ergeben, also Techniken zur Schaffung von virtuellen Realitäten oder Umgebungen, die vom Interaktor intern erlebt werden können, oder Mechanismen, die parallele ›Geschichten‹ oder Exorealitäten erzeugen. Parallel zu dieser Entwicklung entstehen auch verschiedene Methoden zur Analyse interaktiver Werke. Eine der Tendenzen richtet sich primär auf den strukturellen Mechanismus und schenkt dem Kontext und den Interaktoren weniger Beachtung. Es wird untersucht,
wie Interaktivität zwischen User und Bild entsteht, welche Funktionen die Schnittstelle hat, wie Werke erzeugt und kontrolliert werden und zur Aktion anleiten. Kurz gesagt, geht es um Aspekte, die mit dem Strukturdesign zu tun haben. Entsprechend kommt in dieser Argumentationslinie der Frage nach dem ›Wie‹, also nach der technologischen Gestaltung, weit größere Bedeutung zu als der nach dem ›Was‹. Für die ästhetische Reflexion im Bereich interaktiver Kunst/Systeme müsste sich das Hauptinteresse jedoch darauf richten, welche Arten von Information, Kommunikation, Inhalten und Ästhetiken geschaffen werden. Zum Beispiel liegt bei Systemen der Virtuellen Realität das Interesse nicht nur auf der technologischen Entwicklung oder den spektakulären Formen, die Ausschnitte aus der Wirklichkeit reproduzieren. Der eigentliche Sinn der Anwendung dieser Technologien — der die Ästhetik der Simulation evoziert — ergibt sich aus ihrer Potentialität, qualitativ komplexe Umgebungen zu schaffen, die plurisensorisch erlebbare Inhalte übermitteln.
In einer interaktiven Umgebung, in der der Beobachter als Sender intervenieren, die vorhandeneaudiovisuelle Information manipulieren oder neue Information generieren kann, sind Bedeutung und Effektivität des Werkes sowohl an das Interaktionserlebnis des Publikums als auch an die entsprechende Reaktion (Performance) des Systems gebunden. Damit eine zirkuläre Kommunikation — und sei es fiktiv — zwischen Interaktor und System entstehen kann, muss dieses die Fähigkeit simulieren, die Vorgaben des Besuchers ›aufzunehmen‹. Dadurch dürfte der Interaktor annehmen, das System zu kontrollieren oder mit ihm zu kommunizieren, selbst wenn er sich bewusst wäre, die Funktionsweise nicht verstehen zu können.
Interaktion, sei sie explizit oder simuliert, verlangt eine offene und kontingente Werkstruktur, wodurch dem Prozess eine grundlegendere Stellung zukommt als der Materialität und Vollendung des Werks. Den idiosynkratisch ästhetischen Paradigmen interaktiver Werke, also ihrer Virtualität, Variabilität, Kontingenz und Simulation, können noch folgende Kennzeichnungen aus der Endophysik hinzugefügt werden, die jene interaktive und virtuelle Welt der elektronischen Medien (Virtuelle Realität, Künstliche
Intelligenz und Künstliches Leben) beschreiben und definieren: es sind Meta-Experimente, die Außen- (Exo) und Innenseiten (Endo) haben; es sind Modellwelten mit zugänglicher Schnittstelle, auf der die Welt definiert ist; sie können verschiedene Realitätsebenen haben; ihre internen Operationen passen sich der Verzerrung der Perspektive (oder des Agierens) des Beobachters an. [14]
Infolgedessen handelt die Endoästhetik wie die Endophysik von künstlichen, auf Schnittstellen basierenden Welten, in denen man gleichzeitig teilnehmen (Endo) oder beobachten (Exo) kann. Über diese Doppelaktion des Interaktors lassen sich die Eigenschaften der Welt entdecken. »Eine neue Technologie, die im Gegensatz zu allen bekannten nicht nur etwas in der Welt verändert, sondern ›die Welt‹ selbst, rückt als Denkmöglichkeit ins Blickfeld.« [15]
Ein Werk, das die endoästhetischen Ideen vom internen und externen Beobachter exemplarisch in computersimulierte Systeme integriert, ist dieinteraktive Installation Peter Weibels »Die Wand, der Vorhang (Grenze, die), fachsprachlich auch: Lascaux « aus dem Jahr 1994, in der der Interaktor Teil des Bildes wird. Dieselbe Verzerrung, die der Beobachter in der Wirklichkeit seiner Umgebung auslöst, wird auch von einem Interaktor im künstlichen, interaktiven System, an dem dieser teilnimmt, provoziert. Ein Jahr zuvor benutzt Weibel das Wort »Gummiwand«, das in diesem Kontext auch einen Zusammenhang findet: »Einmal soll schließlich der innere Beobachter des Universums auch Daten vom äußeren Beobachter erhalten können und einen Blick jenseits des lokalen Ereignishorizonts seines Universums, jenseits seiner Schnittstelle (seine Gummiwand) tun können.« [16]
Diese Art Virtualität gründet auf dem, was Weibel das ›Regenbogenphänomen‹ nennt. Ein Regenbogen lässt sich zwar fotografieren, aber nicht stereoskopisch, vor allem, wenn die beiden Kameras weit voneinander entfernt aufgestellt sind, um eine besondere stereoskopische Bildqualität zu erzielen. Mit anderen Worten, man kann den Regenbogen in der Natur sehen, man kann ihn sogar fotografieren, aber man kann ihn nicht dreidimensional reproduzieren, da
seine Natur in Wirklichkeit nicht objektiv ist.
Die interaktive Installation »Simulationsraum — Mosaik mobiler Datenklänge « (1993) der interdisziplinär arbeitenden Gruppe KR + cF (Knowbotic Research) veranschaulicht diese These. In dieser Installation überlagern sich realer und virtueller Raum. Obwohl sich der interne Beobachter (Interaktor) physisch in einer realen Welt befindet, ist er an der Erstellung einer künstlichen Modellwelt beteiligt, an der er selbst partizipiert; währenddessen begleiten externe Beobachter seine Aktionen in Echtzeit. Der interne Beobachter interagiert mit den von externen Teilnehmern gesendeten Daten — von Personen via Internet gesendete Statements —, die derart präsent zu virtuellen Agenten im Datenraum der Installation werden. Auf der Grundlage dieser Daten kreiert der interne Beobachter oder Interaktor neue Datensequenzen — Klanggruppen —, die im akustischen Raum als Klangkompositionen wahrgenommen werden. Demzufolge befinden sich interne Beobachter und externe Teilnehmer in einem virtuellen Raum, in dem sie Daten austauschen, um neue Kommunikationsstrukturen zu erzeugen, die zukonstitutiven Elementen der simulierten Welt werden.
Die Anwendung endophysischer Modelle in der ästhetischen Theorie wird durch dieses Werk verdeutlicht: In einer simulierten Welt haben die internen Beobachter Zugang zu bestimmten Handlungen und Interventionen, aus deren Folgen sie Konsequenzen für ihre Umwelt ziehen können. Dieser Möglichkeit ist die Existenz der Schnittstelle zwischen Beobachter und Raum (realer und Datenraum) zuzurechnen. In einer derart simulierten Welt koexistieren interne und externe Beobachter.
Die beobachterabhängige Wirklichkeit, die Definition der Welt auf der Schnittstelle zwischen Beobachter und der Welt sowie die Unterscheidung zwischen internen und externen Beobachterphänomenen geben entscheidende, reflexive Anregungen für die Entfaltungen von Ästhetiken der Selbstreferenzialität, der Virtualität (der Immaterialität der konstitutiven Elemente der virtuellen Welt), der Interaktivität (der Rolle der Beobachter im System) und der Schnittstelle (des Weltverständnisses als eine Frage des Interfaces). Dies alles charakterisiert die Endoästhetik.
Endoästhetische Kriterien ermöglichen eine umfassende Analyse interaktiver Kunst, bei der das Publikum am System, das es beobachtet und mit dem es interagiert, teilnimmt und dessen digitale Prozesse und Instrumente als systeminhärent verstanden werden. Ab 1977 untersucht Peter Weibel anhand einer Reihe von Werken die Relativität einer vom Beobachter abhängigen Welt und die Möglichkeiten, die sich in Bezug auf interne Beobachter, auf die Welt als Schnittstelle und die Beziehung zwischen realen und virtuellen Räumen ergeben. Die Videoinstallation »Inverser Raum« von 1977 simuliert das Modell einer künstlichen, in einem realen Raum aufgestellten Welt, die dem Beobachter paradoxerweise jedoch nicht zugänglich ist. Eine in einem schwarzen Kasten neben dem Monitor versteckte Kamera ist von innen geschützt und beleuchtet, so dass sie sich in einen internen Beobachter verwandelt, der ein Foto des Raumes, das an einer Seite des schwarzen Kastens aufgestellt ist, aufnimmt und dieses live an den Monitor sendet. [17]
In einigen seiner Closed-Circuit-Installationen übernimmt die Kamera die Position eines internenBeobachters. Mit »Beobachtung der Beobachtung: Unbestimmtheit« (1973), »Imaginäre Wasserskulptur« und »Der Traum vom gleichen Bewusstsein aller«, beide aus dem Jahr 1979, beginnt Weibel eine Reihe von Arbeiten, die an zwei Wirklichkeitsebenen — Exo und Endo — ansetzen. Sie erlauben dem Beobachter, sich sowohl von der äußeren als auch von der inneren Seite der Schnittstelle her in einem virtuellen Raum (beobachterzentriertes System) zu bewegen. In der erst genannten Installation sind auf dem Boden kreisförmige Linien aufgezeichnet, auf denen sich drei Kameras und drei mit je einer Kamera verbundene Monitore befinden, sodass sich ein breiter Kreis formiert. Wenn sich der Beobachter im Innenkreis befindet, sieht er auf dem Monitor, was eine Kamera hinter ihm aufnimmt: seine Rückseite. Der Betrachter bewegt sich in einem virtuellen Raum, der nicht von ihm als einem externen Beobachter, sondern ausschließlich vom internen Beobachter, der Kamera, erstellt ist. »Damit der Betrachter sich von vorne sehen kann, muss er sich den Gesetzen des Interface anpassen und selbst kovariant werden […]. Der Betrachter ist bei dieser Echtzeit-Installation im Bild,
aber nur um den Preis der Ko- Varianz.« [18]
Ab den 1990er Jahren beginnt Weibel mit den durch neue Technologien eröffneten Möglichkeiten eine Reihe von Arbeiten, in denen der Beobachter in Echtzeit mit virtuellen Bildern interagiert, indem er sie live im realen Raum manipuliert. Über die Computerinstallation »Das tangible Bild«, 1991 in Zusammenarbeit mit Bob O'Kane realisiert, kommentiert Weibel: »Weder das Bild noch die Beobachter wurden berührt, sondern nur das Interface. Die Beobachter waren Teil des Systems, das sie beobachteten, sie befanden sich im Bild, in der Datenmenge des Bildes. Eine nicht-lokale Verzerrung, in einer Art Dislokation (Displacement), die fernkorreliert war, verzerrte auch das Bild. Die Veränderung des Interface veränderte auch das Bild.« [19] Der aus dieser Konfiguration resultierende Effekt besteht darin, dass jede Berührung, jeder Wechsel und jede Manipulation auf dem Bildschirm des Monitors eine identische (wenn auch virtuelle) Verzerrung in dem realen, live projizierten Bild auslöst. Auf diese Weise ist der Beobachter tatsächlich ›im Bild‹, während sein Körper im realen Raum verbleibt. Dies wäre ein klares Beispielfür den Endozugang zur Elektronik. »Wir schlagen also zwei Stufen vor: Zuerst den Endozugang zur Elektronik und zweitens die Elektronik als Endo-Zugang zur Welt. Das Wesen der elektronischen Künste als endophysikalisches Prinzip zu verstehen, ist nur möglich, weil eben die Elektronik selbst der Endo-Zugang zur Welt ist. Es wird nur dadurch ein Doppel- Zugang möglich. Auf den Endo-Toren der Modell-Welt, simuliert durch die elektronischen Künste, steht: Eingang aus der Welt — Ausgang in die Welt.« [20] Eine weitere Forschungsrichtung im Bereich interaktiver Kunst untersucht mögliche Verbindungen zwischen biologischen (menschlicher Körper) und künstlichen Systemen (virtueller Raum). Anhand der robotischen, interaktiven Installation »Terrain 01« wurde bereits analysiert, wie Ulrike Gabriel die interne und externe Welt auf reziproke und inverse Weise über ein direktes Interface und ohne materielle Kommunikation (Gehirnwellen des Interaktors) miteinander verbindet. In ihrer Installation »Perceptual Arena« von 1993 macht die interaktive Verbindung den Interaktor zum internen Beobachter einer künstlich erzeugten Welt mittels einer Schnittstelle, die
organische Aktivitäten mit den generativen Aktivitäten des Algorithmus verbindet. Die Resultate dieser Kopplung werden über das projizierte Bild visualisiert und können von externen Beobachtern wahrgenommen werden. In diesem System wird der Interaktor aufgefordert, am Schaffungsprozess des Werkes teilzunehmen, jedoch nicht mit konventionellen Manipulationsmethoden, die den Einsatz der Hände oder physischer Bewegungen implizieren, sondern über natürliche Prozesse des Körpers: Blick und Atmung. Die Interaktion mit dem System läuft über die Selbstwahrnehmung des Beobachters ab, über die Selbstkontrolle seines Blickes und seiner Atmung. Damit wird eine größere Identifikation des Interaktors mit dem System möglich, und es entsteht der Eindruck, man sei auf ›natürliche‹ Weise Teilnehmer dieser virtuellen Welt. »Perceptual Arena« oder andere Werke, die implizite (nicht-konventionelle) Schnittstellen benutzen, wie »osmose« [21] , eine immersive und interaktive VR-Installation von Char Davies (1995), setzen die Eigenheiten der Endoästhetik in künstlerische Praxis um. Zugleich sind sie paradigmatisch für eine Art intuitiv erzeugterInteraktivität zwischen Werk und Publikum, die dessen aktive Teilnahme erlaubt, ohne dass sie an Vorkenntnisse oder Kompetenzen gebunden wäre.
Die Möglichkeiten nonverbaler Kommunikation sowohl zwischen Interaktor und Werk als auch zwischen verschiedenen, räumlich voneinander entfernten Interaktoren untersucht Paul Sermon in einer Reihe von Arbeiten wie » Telematic Dreaming« (1992), »Telematic Vision « und »Telematic Seánce« (beide 1993). Über Telepräsenz integriert Sermon den realen Beobachter als Teil des virtuellen Systems, das er beobachtet und mit dem er intern interagiert. Über das Netz vereinen sich die körperlich an unterschiedlichen Orten befindlichen Interaktoren über Telepräsenz in ein und demselben virtuellen Raum, der über den Monitor wahrnehmbar ist. In dem Moment, in dem sich die klare Trennung zwischen telepräsenten und realen, physischen Körpern verwischt, wird das Publikum zum ›Voyeur‹ seiner eigenen Handlungen, da der Interaktor nun in und zwischen beiden Orten (virtuell) existiert. In dieser Art telematisch simulierter Welten werden Personen zugleich zu internen und externen Beobachtern.
Die mit digitalen Technologien und ihren Anwendungen im Kunstbereich aufkommenden Möglichkeiten transformieren notwendigerweise nicht nur die Materialien, Formen und Strukturen der Medienkunstwerke, besonders der interaktiven Kunst, sondern auch tiefgreifend die Grundlage ihrer Ausdrucksweisen, Konzepte und Forschungsbereiche. Die Endoästhetik ist als ein theoretisches Modell zu betrachten, das aus einer interdisziplinären Position heraus Grundbegriffe zum Verständnis und zur Analyse der Transformationen und aktuellen Produktionen vermittelt, die sich der kreativen, von den neuen interaktiven Technologien gebotenen Möglichkeiten bedienen.
Der Einfluss der Endoästhetik auf das Verständnis von Kunst gründet auf ihren Konzeptualisierungen von Selbstreferenzialität, Simulation, Virtualität (Immaterialisierung); Interaktivität und Relativität; auf dem Vorrang des Interaktors im Kontext des Werkes (interner und externer Beobachter) und schließlich auf der Schnittstelle. Aus der bereits erwähnten Reflexion der ›Ästhetik jenseits der Ästhetik‹ sowie dem Übergang von Kunst zum System resultieren dasVerständnis und die Analyse interaktiver Systeme aus endoästhetischer Perspektive. Diese Werke definieren sich als komplexe, flexible, situationsbedingte, hypermediale und multidisziplinäre Systeme. Ihr spezifischer Gegenstand ist der wechselseitige Kommunikationsprozess (kognitiv, intuitiv, sinnlich, sensomotorisch) auf unterschiedlichsten Ebenen (Publikum — System; System — Interaktor; Interaktoren im System; Kontext — System) sowohl auf Online- als auch auf Offline-Plattformen. Aus der Sicht der Endoästhetik ›existieren‹ (das heißt, ergeben einen Sinn und entwickeln ihre Performance) diese Werke als solche nur in dem Maße, als es eine wechselseitige und aktive (reale oder virtuelle) Beziehung zwischen Interaktor(en) und System (Werk) gibt. Insofern ist das interaktive System immer potenziell und existiert nicht in aktiv autonomer Form, da es von der Aktion des Beobachters oder der Umgebung abhängig ist, sei diese visuell, akustisch, taktisch, gestisch oder motorisch, sei sie energetisch (wie Hirnwellen) oder körperlich (wie Atmung und Bewegung). Die Erforschung interaktiver Systeme aus endoästhetischer Sicht erlaubt erstens das Erstellen virtueller Räume und Realitäten als
Systeme oder Modellwelten, zweitens die Relativität von beobachterabhängigen Systemen und drittens die Integration interner Beobachter über eine Schnittstelle in ein (virtuelles) System, das aus externer Perspektive beobachtet werden kann. Die Endoästhetik bereitet den Weg zum Verständnis einer möglichen ›Weltveränderung‹ vor, die sich als Ausweitung unserer Wirklichkeiten (Erfahrungen, Wahrnehmungen, Eindrücke) und als Kenntnis der Umwelt durch das Infragestellen der Welt selbst sowie unserer Wahrheiten, unseres Lebens und dessen biologischen Systems entfaltet.
Die im Zusammenhang mit Medienkunst und besonders mit interaktiver Kunst vorgeschlagene endoästhetische Theorie stößt womöglich auf Widerstand und Ablehnung seitens dogmatischer oder ›nostalgisch‹ ausgerichteter Positionen, da die Infragestellung der klassischen Begriffe von Wahrheit, Wirklichkeit, Gegenständlichkeit, Transzendenz, Autonomie oder Originalität Instabilität auslösen kann. Diese konservativen Positionen stimmen mit jenen einer Konsumgesellschaft überein, die auf Objekte und deren symbolisch-ökonomische, strategisch artikulierteWerte fixiert sind (das Wahre, Originalität, Kostbarkeit). Die Widersprüchlichkeit des gegenwärtigen Pluralismus zeigt sich auch auf diesem Gebiet: Man verlangt einen ungehinderten Gang hin zu neuesten Technologien und vermeidet oder weigert sich gleichzeitig, jene radikalen Veränderungen zu akzeptieren, die sich aus der Integration und Verwendung eben dieser Technologien in der Kultur ergeben. Offensichtlich nahm die Dekonstruktion traditioneller künstlerischer Werte und ihrer Ästhetik ihren Anfang im Zentrum der Kunst selbst in dem Moment, als sie ihre Methoden jenen der digitalen Technologien hinzufügte.
Paraphrasiert man den Grundgedanken von Künstlichem Leben, wonach der Computer für den Forscher das darstellt, was für den klassischen Naturwissenschaftler die Natur war, könnte man sagen, dass die gegenwärtigen digitalen und telematischen Systeme für den Künstler in seiner Rolle als Forscher das repräsentieren, was die Gesetze der Perspektive für den Renaissancekünstler bedeuteten, nämlich weit mehr als ein reines Instrumentarium, da sie die Prämissen und die Konzeption von Kunst selbst und ihrer Ästhetik beeinflussten. Kunst als System ist
folglich der Wissenschaft näher als je zuvor, und die gegenwärtige Wissenschaft, die sich (wie die Endophysik) mit Notwendigkeit und Kontingenz befasst, wird zur Kunst des Möglichen, die nicht nur erforscht, wie die Welt ist, sondern wie sie sein könnte und wie man am besten und überzeugendsten neue Modelle der Welt mit computergestützten Mitteln generieren könnte (so der Vorschlag der Endoästhetik). Vielleicht hilft eine solche Erweiterung der persönlichen Welterfahrung, die Bedeutung und Konsequenzen des Agierens für die eigene Umwelt besser zu verstehen und mit Zurückhaltung und Toleranz eine Rolle in der Konstruktion sozialer ›Wirklichkeiten‹ zu übernehmen.