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Die Arbeit der nordamerikanischen Filmemacherin Joyce Wieland wird in avantgardistischen Filmhistoriographien meist nur am Rande erwähnt. Nur ein paar Jahre nach ihrem Tod 1998 und zwanzig Jahre nach ihrem letzten bedeutenden Film ist sie in der Geschichte des avantgardistischen Films bestenfalls eine Fußnote und als bildende Künstlerin außerhalb Kanadas völlig unbekannt – und dies trotz der Tatsache, dass sie als Filmemacherin ebenso aktiv war wie als bildende Künstlerin und vor dem Ausbruch ihrer Alzheimer-Krankheit Ende der 1980er Jahre 20 Filme gedreht und regelmäßig ausgestellt hat. 1971 wurde ihr sogar die bittersüße Ehre zuteil, als erste lebende Frau mit einer Einzelausstellung in der National Gallery in Ottawa vertreten zu sein. Ihre größte Leistung war wahrscheinlich 1975, in den frühen Tagen der kanadischen Spielfilmindustrie, die Fertigstellung ihres ersten abendfüllenden Spielfilms »The Far Shore« – der zugleich im Grunde ihr letzter Film war. Bereits in den 1950er Jahren entwickelte Wieland ein Interesse am Filmemachen, als sie in einem kommerziellen Trickfilmstudio in Toronto als Graphikerin arbeitete. Nachdem sie 1962 mit ihrem damaligen Ehemann Michael Snow [1] nach New York gegangen war, wuchs ihre Affinität zum Medium Film. Sie war zwar alsKünstlerin in Kanada etabliert und hatte dort 1960 auch ihre erste Einzelausstellung, aber sie fühlte sich überwältigt von der Agressivität der expandierenden New Yorker Kunstwelt. Während ihrer neun Jahre in New York produzierte sie zwar weiterhin bildende Kunst in nicht-zeitbasierten Medien, aber ihre Arbeiten wurden in der Stadt nie ausgestellt. Statt dessen wurde sie zu einer festen Größe von Jonas Mekas‘ »Film-Makers Showcases« – eine Verbindung, die Bestand hatte, bis sich 1970 herausstellte, dass sie nicht zu den beiden lebenden Frauen gehörte, deren Arbeit in der »Kernsammlung der Monumente der Filmkunst« [2] der Anthology Film Archives Erwähnung fand.
jedoch lediglich erwähnt. An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert: Ihr Name wurde nur dreimal beiläufig in David E. James »Allegories of Cinema: American Film in the Sixties« genannt, ein Buch, das jedoch angesichts der beispielhaften Bandbreite und des Eklektizismus von James‘ Ansatz ein idealer Kontext für eine detailliertere Betrachtung ihres Stellenwerts in der Kunst dieses Jahrzehnts gewesen wäre. Letztlich ist Wieland eine verstörende Figur, die allerdings zugleich auf paradoxe Weise durchaus repräsentativ ist für die verschiedenen Kämpfe innerhalb und zwischen der Kunst- und der Filmwelt der 1960er Jahre.
sowohl in der bildenden als auch in der zeitbasierten Kunst Wielands der 1960er und 1970er Jahre. Sie interessierte sich sehr für Raum und Objekte, die Freuden und Gefahren ihres eigenen Alltags; dabei konzentrierte sie sich häufig auf den häuslichen Bereich, seine Geräte, seinen Techniken und taktilen, sinnlichen Vergnügen, die alle symptomatisch für den feministischen Einschlag ihrer Arbeit sind. Ähnlich untersuchte sie auch das »Hier und Jetzt« des kanadischen Nationalismus, der sich in den 1950er Jahren entwickelte und Ende der 1960er Jahre wie ein (höfliches) Lauffeuer wütete. Northrop Frye schrieb, das Rätsel der kanadischen Identität könne nicht durch eine einfache Untersuchung des Selbst gelöst werden, sondern die kanadische Sensibiliät sei »weniger durch die Frage ›Wer bin ich?‹, als durch die Frage ›Wo ist hier?‹ kompliziert« worden. [5] Wielands Filme machen es sich zur Aufgabe, den Ort näher zu bestimmen, von dem, sowohl im individuellen als auch im geographischen Sinn, Bedeutung ausgeht. Formal war ihre Arbeit oft rigoros minimalistisch und wies indirekt auf die verschiedenen Auswirkungen des filmischen Dispositivs hin, jedoch nie ohne Humor. Die Kombination dieser drei Merkmale – die Konzentrationauf die Besonderheiten des häuslichen Bereichs, die Betonung der Schwierigkeit zu definieren »Wo ist hier?« und die Neigung zu einer reduktiven Ästhetik – führte zu einem Gesamtwerk, das in seinem Eklektizismus für die meisten Kritiker und Wissenschaftler noch immer nicht lesbar zu sein scheint. [6]
Begeisterung entwaffnende Leidenschaft hervorgerufen zu haben. Und genau diese Leidenschaft trennt Wieland von anderen strukturellen Filmemachern und sorgt dafür, dass sie analytisch so schwer zu durchdringen ist; denn in vielen ihrer Filme herrscht zwar eine strukturelle Kühle, aber gleichzeitig auch ein glühendes, fast rauhes Beharren auf der Besonderheit von Zeit und Raum, der Signifikanz des Ortes, von dem die Bedeutungsamkeit des resultierenden Ausdrucks hervorgeht. Offensichtlich vereitelt das Emotionale dieser Arbeiten den Versuch, ihre diskursiven Qualitäten heraus zu arbeiten. Ihre Leidenschaft scheint die meisten Betrachter dazu zu ermutigen, eine Gruppe von Filmen für bare Münze zu nehmen, die sich eindeutig nicht auf einfache Übungen in politischer Affirmation reduzieren lassen.
Filmemachern der 1920er Jahre und den avantgardistischen narrativen Filmemachern im Europa der 1960er und 1970er Jahre (wie Jean-Luc Godard und Straub- Huillet) her; ihr gemeinsamer Nenner ist eine gleichzeitige Betonung des Bezeichneten der Bilder, der Bedeutung des Pro-filmischen im realistischen Sinne sowie die Hinterfragung der offenbar selbstverständlichen Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem. Der Fokus wechselt hier vom Dispositiv des Mediums, wie es die vergeistigte zeitgenössische Kunstwelt definiert, zu dem, das einen zur Massenagitation geschaffenen Film mit einem Publikum definiert. In beiden Fällen liegt der Schlüssel in einer Betrachtung des Bedeutungsprozesses – der jedoch zu radikal verschiedenen Ergebnissen führt. Über Godard schreibt Wollen: »Er trennt Signifikant von Signifikat und bestätigt – wie es eine solche Trennung tun muss – die Vorrangstellung des ersten, ohne in irgendeiner Weise das zweite aufzulösen.« [10] Aber was sind die Mittel einer solchen Trennung? Auf wie viele Arten kann sie hergestellt werden? Am Ende seines Texts fordert Wollen eine Konvergenz dieser angeblich so verschiedenen Methodologien, vermutet aber nie, er könne sie übersehen haben. Obwohl Wollen betont, dass die Trennung zwischen den beiden Avantgardennicht nur in der Abwesenheit oder Anwesenheit von politischem Engagement besteht, so ist doch klar, dass es hier um die divergierenden Beziehungen zu den referentiellen Qualitäten filmischer Bilder geht – und darüber hinaus um ihr unterschiedliches Potenzial zur politischen Aufklärung. Was nach Ansicht Wollens fehlt, ist ein Film, der eine Untersuchung des filmischen Dispositivs sowohl im rein mechanischen als auch im rein sozialen Sinne kombiniert, ohne jedoch die Aufmerksamkeit eines Massenpublikums abzulehnen. Ich möchte anhand des Beispiels einiger Filme von Wieland ein Korrektiv zu dieser Trennung vorschlagen, in der Hoffnung, damit einen ersten Schritt zu einer detaillierteren analytischen Untersuchung ihres Œuvres zu tun.
gezeigt wird und von dissonanter, lauter Musik begleitet ist; durch die anormale Geschwindigkeit der menschlichen Bewegungen wird ein dem Stummfilm ähnlicher Humor evoziert. Zwischen den einzelnen Aufnahmen sind weiße Leerkader eingesetzt, die zweimal durch ein oder zwei schwarze bzw. rosafarbene Einzelbilder verdunkelt werden, die andeuten, dass noch etwas kommt, was jedoch nie geschieht. Über dieses Bild sind die arabischen Ziffern 1933 (oder 1-9-3-3) geblendet, die auf eine Unmenge von Kombinationsmöglichkeiten zwischen Bild und Text und die Neigung des Zuschauers hinweisen, sogar auf der Grundlage der minimalsten Zeichen zu historisieren und zu kontextualisieren. Bezieht sich 1933 auf einen Augenblick von besonderer Bedeutung in der modernen europäischen Geschichte? Weist die Zahl den Zuschauer an, dieses besondere Wissen um vergangene Ereignisse auf das Bild der Gegenwart anzuwenden – als würden wir in ein historisches Drama eintreten, indem wir das Bild der Gegenwart des Films (die als solche identifizierbar ist) in eine Darstellung der Vergangenheit verwandeln? Natürlich war die Praxis, visuelle Anachronismen voll und ganz zuakzeptieren, in historischen narrativen Filmen der 1960er Jahre nicht ungewöhnlich. Ohne den Vorteil des historischen Wissens kann die Einblendung in diesem Fall auch einfach als ein Zeichen für Nostalgie fungieren, für den ewigen Einfluss der Vergangenheit auf die Vorstellungskraft der Gegenwart. Natürlich könnte man auch annehmen, dass sich 1933 auf die Adresse des Gebäudes bezieht, in dem der Film gedreht wurde. Oder ist der Text in diesem Bild nichts weiter als eine willkürliche Kombination von vier arabischen Ziffern, die uns dazu veranlassen, Vermutungen anzustellen? »1933« gehört zu Wielands ›strukturellsten‹ Filmen. Er entzieht sich zwar nicht so energisch einer einfachen Analyse wie einige der anderen hier angeführten Beispiele, verweist aber auf Wielands Auseinandersetzung mit der Problematik der Darstellbarkeit des Hier und Jetzt und insbesondere eine allen hier diskutierten Filmen gemeinsame Strategie: die Nebeneinanderstellung von Sprache und Bild. In Wielands Werks kämpfen diese beiden Systeme um Aufmerksamkeit, bringen aber jeweils verschiedene Prozesse ins Spiel. In der Lücke zwischen verschiedenen Wissensformen – oder eher
Erfahrungsweisen, die jeweils hervorgebracht werden mögen – verbirgt sich die Vermutung, dass das filmische Bild immer einen visuellen, aber nicht notwendigerweise einen einfach lesbaren Eindruck hinterlässt. Diese Problematik wird explizit in »Rat Life and Diet in North America« aus dem Jahr 1968 aufgegriffen, Wielands erstem Film, der sich der damals aktuellen politischen Rhetorik bedient.
auf einem Volksfest ankündigen, aber nur nachlässig für ihren eigenen Inhalt werben und manchmal sogar verkehrt herum erscheinen. Diese Kontraste und Konflikte zwischen Bild und geschriebenem Text rücken jene Visualisierungsprozesse in den Vordergrund, die dadurch ins Spiel gebracht werden, daß man einen Text liest – besonders, wenn dieser Text einen Eigennamen (wie »Canada«) enthält. Durch den Wechsel zwischen naiver Illustration und eindeutigem Widerspruch illustrieren die Bilder des Films in ihrer Interaktion mit den textuellen Zwischentiteln und Überblendungen des Films solche einfachen assoziativen Pfade und kritisieren sie gleichzeitig – allgemeine Verknüpfungen, die der komplexen, für politischen Wandel notwendigen Wahrnehmung durchaus im Weg stehen können. Ich würde jedoch nicht behaupten, dass der Film seinen politischen Inhalt auslöscht, indem er in Frage stellt und sich darüber lustig macht, wie dieser Inhalt vermittelt wird. Um noch einmal Wollen (über Godard) zu zitieren: »Er trennt Signifikant von Signifikat und bestätigt – wie es eine solche Trennung tun muss – die Vorrangstellung des ersten, ohne in irgendeiner Weisedas zweite aufzulösen.« [11] Eine solche Trennung von Wort und Bild weist nicht nur auf die Bedeutung von Sprache für den Prozess der Visualisierung hin, er unterstreicht ebenso sehr die haptischen Qualitäten des Bildes wie die grafischen Qualitäten von Buchstaben und Zahlen auf der Leinwand, die sich andernfalls einer solch direkten Übersetzung in eine bestimmte Bedeutung entziehen würden.
Umrisse dieser Landschaften von einer Küste zur nächsten nachzeichnet, weist Wieland auf die äußerst vielfältigen Besonderheiten des »Hier« Kanadas hin, erschwert aber weiterhin alle einfachen Schlussfolgerungen über individuelle Leidenschaft für die Landschaft und für politisches Verhalten. »Reason over Passion« stellt auch zwei weitere Strategien vor, die in den nachfolgenden Jahren in Wielands Filmen immer wichtiger werden sollten: erstens die dem Bilingualismus [14] inhärente linguistische Verschiebung und zweitens die problematische Beziehung zwischen dem Körper als Quelle der Erfahrung und der Übertragung dieser Erfahrung in einen sinnvollen Ausdruck. Dieses Anliegen wird durch ein für alle ihre Arbeiten in allen Medien typisches Motiv eingeführt: der Mund als Quelle des Ausdrucks. In »Reason over Passion« ›singt‹ sie unhörbar die kanadische Nationalhymne, die Kamera auf ihren Mund gerichtet; das Motiv taucht auch in ihren Lithographien und Quilts aus der gleichen Zeit auf und wird in abgewandelter Form zum letzten Mal in ihrem Spielfilm »The Far Shore« präsentiert. »Reason over Passion« gilt gemeinhin als ihr letzter ›struktureller Film‹; nach 1969 wird Wielands Art des Filmemachens formal radikalhybrid und Dokumentarisches, Avantgardistisches und Agitprop werden hemmungslos gemischt. Unmittelbar vor ihrem Spielfilm drehte Wieland zwei Kurzfilme, »Solidarity« und »Pierre Vallières«, die beide bei den Kritikern wenig Beachtung fanden und allgemein als idiosynkratische Beispiele einer einfachen politischen Dokumentation aufgefasst werden, die nur wenige Verbindungen zu den Zielen der Avantgarde aufweisen. Ich bin jedoch der Ansicht, dass sie am besten als Werke gelesen werden sollten, die zwischen den Belangen und Methoden des Dokumentarfilms und denen des strukturellen Films oszillieren; beide thematisieren die problematische Übertragung von Erfahrung in Repräsentation.
Dass Erfahrung Übersetzung erfordert, um in Zusammenhang gebracht werden zu können, ist das Argument, das die Historikerin Joan Scott in ihrer viel diskutierten kritischen Abhandlung »The Evidence of Experience« vorbringt. Entsprechend der traditionellen Auffassung der Art, wie Erfahrung gesammelt wird, ist »Sehen der Ursprung des Wissens. Schreiben ist Reproduktion, Übertragung – die Vermittlung von Wissen, gewonnen durch (visuelle, körperliche) Erfahrung.« [15] Somit wurde Erfahrung traditionell nicht als ein Interpretations-, sondern als ein Auswahlprozess aufgefasst. Ein solcher Ansatz naturalisiert Identität und damit auch Differenz. Darüber hinaus dekontextualisiert er Widerstand, indem er dessen Quelle innerhalb »der Natur« gewisser Individuen verortet und gleichzeitig außer Acht lässt, wie diese Identitäten entstanden sind. Daraus folgt nach Scott: »die Evidenz der Erfahrung, ob durch eine Metapher der Sichtbarkeit oder in irgendeiner anderen Form gewonnen, die Bedeutung als transparent auffasst, bekämpft vorhandene ideologische Systeme nicht, sondern reproduziert sie – solche, die davon ausgehen, dass die Fakten der Geschichte für sich selbstsprechen …« [16] Stattdessen schlägt Scott vor, Erfahrung selbst als einen interpretierenden Prozess aufzufassen, der seinerseits Interpretation erfordert, um anderen übertragen oder vermittelt zu werden. Wie gesagt: »Visuelle, viszerale« Erfahrung ist der erste Moment in diesem Prozess, wobei die genaue Beziehung zwischen diesen beiden Formen der Erfahrung unklar bleibt – ein relevantes Merkmal bei einer Betrachtung der Beziehung zwischen Erfahrung und ihrer visuellen Darstellung. Wie kann man der scheinbaren Selbstverständlichkeit einer visuellen Darstellung des Körpers entfliehen? Scott verfolgt verschiedene Permutationen des Begriffes Erfahrung im historischen und literarischen Kontext und gelangt schließlich selbst zu der irreduziblen Verbindung zwischen Sprache und Erfahrung. Sie schreibt: »Erfahrung ist die Geschichte eines Subjekts. Sprache ist der Schauplatz der Darstellung von Geschichte.« [17] Daher schlägt Scott vor, zu berücksichtigen, wie Sprache bei der Schaffung von Subjekten und damit von Wissen angeeignet, situiert und kontextualisiert wird. Aber welchen Status hat der Körper in Beziehung zum Diskurs, und wie läßt sich der Unterschied
zwischen »Diskurs« und »Erfahrung« erklären? Und wie kann man sich in diesem Kontext noch Vermittlung vorstellen? In ihrer Antwort auf Scott, die den Titel »History after the Linguistic Turn« trägt, besteht Kathleen Canning ebenso auf der historischen Kontingenz der Subjektivität wie auf der Bedeutung der materiellen Welt für diese Prozesse. Sie folgt Regenia Gagniers Behauptung, »dass die Untersuchung der materiellen Kultur (als der soziale Raum, in dem Diskurse stattfinden) notwendigerweise zum Körper führt, dass der Körper sich an der Kreuzung zwischen materieller Kultur und Subjektivität befindet und dass körperliche Erfahrungen von Verlangen und Verlust Subjektivität auf bedeutende Art und Weise prägen.« [18] Natürlich eignen sich Filme besonders dafür, das historische Subjekt in seiner Besonderheit in Zeit und Raum zu verorten, doch sie laufen Gefahr, diese Kontextualisierung selbstverständlich erscheinen zu lassen. Wie könnte der Körper, dieser Kreuzungspunkt, dieser Ort der Produktion, der selbst produziert wird, in eine Darstellung übersetzt werden, ohne eine substanzielle Beziehung zwischen leibhafter Erfahrung und Subjektivität zu behaupten? In Wielands Fall wirddieses Rätsel durch die Strategie einer visuellen reductio ad absurdum angesprochen. Während die meisten ihrer Filme ein Interesse an der Interaktion zwischen einem Körper und seiner Umgebung zum Ausdruck bringen, sind »Solidarity« und »Pierre Vallières« in ihrem Œuvre insofern einzigartig, als sie sich explizit auf die Beziehung zwischen Erfahrung und Darstellung durch die Verwendung radikal selektiver Bildausschnitte konzentrieren. Betrachtet man diese beiden Filme im Kontext der politischen Talking Head- Filme oder als ein Korrektiv der klassischen Nachrichtensendung, so repräsentieren sie eine zunehmende Eingrenzung von Wielands Perspektive, einen Fokus, der Ähnlichkeiten mit den gleichzeitigen Entwicklungen sowohl in Nachrichtensendungen als auch in feministischen Dokumentarfilmen hatte. Aber die formalen Merkmale der Filme von Wieland suggerieren auch eine diskursive Intervention. Wie fassen wir Bilder auf, die angeblich gesellschaftliche Ereignisse oder Aussagen von Individuen dokumentieren, d.h. gewöhnliche Nachrichtenbilder? Die Beziehung zwischen politischer Aussage (mündlich oder in Form eines geschriebenen Texts) und dem
Körper, der Erfahrungen in der Gesellschaft macht, wird meist als selbstverständlich betrachtet und fungiert doch als der visuelle Garant für Authentizität und Gültigkeit der gemachten Aussage. In Wielands Arbeiten denaturalisiert die durch die visuelle reductio ad absurdum erzeugte Trennung die Beziehung zwischen leibhafter Erfahrung und politischem (oder anderem) Diskurs, indem einerseits suggeriert wird, dass die gesprochenen Worte der vom Körper gemachten Erfahrung nicht entsprechen, und andererseits, dass die Rezeption der Übersetzung der Erfahrung in sprachliche Produkte gleichermaßen überfrachtet ist.
Ausbeutung in der Region Quebec; die Bedeutung der Rasse für die Geschichte der Unterdrückung in Quebec, und die Beziehung zwischen Rassismus und Sexismus. Untertitel, die Vallières von dem Quebecer Dialekt Joual gefärbtes Französisch ins Englische übersetzen, sind über die Bilder geblendet und weisen auf die Mängel und Verschiebungen dieses Mittels hin, das Unvertraute vertraut zu machen. Bis zum Ende der letzten Filmrolle, die noch einige Minuten weiter läuft, nachdem Vallières aufgehört hat zu sprechen und durch das Fenster eine Landschaft zeigt, hat die Kamera ausschließlich Vallières‘ Mund in Nahaufnahme gezeigt. In diesen Bildern dominiert nicht nur die sinnliche, weiche Qualität des Mundes, sondernd auch seine soziale Bedeutung: Schlechte Zähne weisen auf eine Kindheit ohne Privilegien hin. [19] Natürlich sind die Art, in der Lippen, Zunge und Zähne interagieren, um die Sprache zu produzieren, die auf dem Soundtrack des Films gesprochen wird, und die Anwesenheit des ethnisch abgegrenzten Körpers hinter dieser Körperöffnung Elemente, die in direkter Verbindung zu der im Filmkommentar vermittelten Erfahrung der Unterdrückung stehen. Aber durch den radikalreduktiven Bildausschnitt wird die Beziehung zwischen diesen Elementen denaturalisiert und bewegt sich am Rande des Spotts. Die ungewöhnliche Nähe des sprechenden Subjekts zur Kamera deutet keine ununterbrochene Linie an, die den Körper mit der Rhetorik verbindet, die er produziert, oder mit der ungestörten Rezeption dieser Rhetorik durch den Zuschauer. Im Vergleich zur Talking HeadÄsthetik in konventionellen politischen Dokumentarfilmen bietet Wielands ungewöhnlicher Ausschnitt ihres Subjekts eine zu große Nähe zu der »Quelle« des Inhalts des Films. Von diesem beunruhigenden Effekt wurde oft behauptet, er schwäche die Kraft von Vallières‘ Worten ab. [20] Zudem ist die zeitliche Struktur des Films durch die Länge einer 16mm- Filmrolle definiert; Vallières wird am Ende der zweiten Rolle unterbrochen, und der Film geht weiter mit der dritten Rolle, nachdem er aufgehört hat zu sprechen, womit eine Darstellung der Beschränkungen eines 16mm-Films gegenüber dem Beitrag des Sprechers bevorzugt wird. Damit kündigt sich erneut ein Konflikt zwischen der Ästhetik des Films und seinem offenkundig politischen Inhalt, zwischen
Bezeichnendem und Bezeichnetem an.