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Themenicon: navigation pathKunst und Kinematografieicon: navigation pathBaldessari
I Will Not Make Any More Boring Art
Die Arbeit von John Baldessari
John Miller
 

»Wenn etwas nach zwei Minuten langweilig ist, versuche es über vier Minuten. Wenn es immer noch langweilig ist, dann acht Minuten. Dann sechzehn. Dann zweiunddreißig. Irgendwann wirst du entdecken, dass es überhaupt nicht langweilig ist.« (John Cage)

»Ich mag langweilige Dinge. Ich mag es, wenn Dinge immer wieder genau gleich sind.« (Andy Warhol)

Als ich einmal in Gregor Stemmrichs Seminar an der Hochschule der Künste über John Baldessaris Super-8-Filme sprach, machten einige Studenten mich darauf aufmerksam, dass ich nie erwähnte, wie komisch diese Filme sind. Sie hatten recht – Humor ist ein wichtiges Element in Baldessaris Arbeiten. Es ist ein eigenartiger Humor, mehr Erforschung der Realität als Unterhaltung. (Real ist in diesem Sinne natürlich auch das Künstliche.) Ein skeptischer und dadurch merkwürdig nüchterner Humor. Aber auch ein wenig subversiv. Er setzt die Hürden so ›vernünftig‹, so niedrig an, dass es hinterrücks bedeutungslos wird, als Sieger ins Ziel zu gelangen. Wenn der Künstler in einem Video halbherzig verspricht: »Ich werde keine langweilige Kunst mehr machen«, um welches Problemgeht es dann – Kunst zu machen oder langweilig zu sein? Statt die Vorschrift in Frage zu stellen, gibt Baldessari vor, sich ihr zu unterwerfen. Er schreibt die Regel unzählige Male ab und verstößt damit gegen die ständige Forderung des Verstoßes. Er wiederholt unablässig, dass er es beim nächsten Mal besser machen wird. Aber wir können ihm nie trauen; mit jeder Wiederholung bricht er sogleich das Versprechen, sich an die Regel zu halten.

1. Vom Künstler zum Hobbyisten

Der Humor als solcher ist unsichtbar (obwohl er das Resultat eines bestimmten Standpunkts ist), und doch ist er eine Repräsentation, mit der ebenso zu rechnen ist wie mit all den formalen Elementen in Baldessaris Super-8-Filmen. Mit täuschender Bescheidenheit verwirft er kurzerhand das ganze abstrakt-expressionistische Erbe von Alkoholexzessen, existentieller Angst und heroischen Posen. [1] Er gesteht ein, dass die amerikanischen Künstler heute professionell arbeitende und ausgebildete Angehörige

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I will not make any more boring Art (Baldessari, John), 1971

der »middle class« sind, die in einer Zeit eines beispiellosen allgemeinen Wohlstands leben und in einer Nation, die stolz von sich behauptet, die stärkste Supermacht aller Zeiten zu sein. Dieser neue Wohlstand bedeutet doppelte Freiheit von Selbstzweifeln und materiellem Mangel. So verliert die Bohème die letzten Reste von Glaubwürdigkeit, und Artauds Künstler, der »von der Gesellschaft in den Selbstmord getrieben wird«, erscheint dagegen lächerlich. Auch der Status der middle class ist »lächerlich« – blasiert und selbstbespiegelnd. Aber das ist nicht der Gegenstand des Humors. In Baldessaris Filmen ist der Exzess (das ›strukturell‹ nicht Notwendige), der den Humor ausmacht, ein Index der gesellschaftlichen Legitimation und des Prestiges, ähnlich wie es für Thorstein Veblen der demonstrative Konsum war. Doch das Ethos der Marginalisierung des Künstlers stirbt nicht so schnell. Als Allan Kaprow zum Beispiel erklärte, der Künstler sei »ein Mann von Welt«, träumte er noch davon, die Kunst und das Leben miteinander zu »verschmelzen«. Für Baldessari traf das die Sache schon nicht mehr: Die Kunst war schon ein Teil des Lebens. Um das zu sehen, brauchte er nichtweit zu blicken; das zeigten ihm schon die Colleges und Art Schools, in denen er regelmäßig unterrichtete. Und die Schule war schließlich auch die übergreifende Metapher in »I Will Not Make Any more boring art« (1971), wo der Künstler seine Einschreibung in dieses System ironisierte. Für Künstler von Baldessaris Generation hatte Professionalität sehr viel mit Bildung zu tun, aber sehr wenig mit technischer Ausbildung. Nach Duchamps Diktum, dass ein Werkzeug, das besondere Fertigkeiten voraussetzt, nichts tauge, bedeutete dies eine weitere Verschiebung in der klassenspezifischen Selbstverortung des Künstlers zugunsten des mehr managerhaften Stils der Konzeptkunst. Während technische Fertigkeiten ein Stigma waren, war Witz ein Plus. In der populären Anschauung jedoch bedeutete Kunst noch immer technisches Können – und dieses war gleichbedeutend mit Realismus. Bessere Technik bedeutete bessere Kunst. Dagegen standen die Abstrakten Expressionisten auf dem Standpunkt, dass Kunst nicht gelehrt werden kann, und mehr noch, dass insbesondere ihre Kunst sich nicht auf besondere Fertigkeiten oder gar auf eine Maltechnik reduzieren ließ. Immerhin blieb für sie die

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existentielle Begegnung des Malers mit der Leinwand von entscheidender Bedeutung. Weil er solchermaßen zwischen der Technik und dem nicht rational erklärbaren Aspekt des künstlerischen Schaffens vermittelte, wurde der Abstrakte Expressionismus ironischerweise über Jahrzehnte hinweg zum vorherrschenden Stil in den amerikanischen Art Schools. Dagegen markierte Baldessaris Entscheidung, mit Super-8 zu arbeiten, eine unmißverständliche Abkehr von Technik und Mystizismus zugleich. Das Format war eklatant amateurhaft, ein Medium für Geburtstagspartys und Familienausflüge.

Nach dem Existentialisten nun also der Künstler als Hobbyist. Während das Zurschaustellen von technischem Können das Ansehen des Künstlers eher kompromittierte, lauteten die neuen Regeln des Professionalismus nun: 1. kalkulierte Missachtung der alten Regeln, [2] . Bevorzugung weniger melodramatischer Sujets und eine distanziertere, ironischere Behandlung dieser Sujets. Zusammengenommen bedeutete dies einen Paradigmenwechsel, für den Andy Warhol als Katalysator wirkte. Für Baldessari brachte die neue Sensibilität eine nuanciertere,zugleich aber auch sachlichere Betrachtung der Details des Alltagslebens. Mit der Kamera in der Hand machte er sich daran, nicht mehr, sondern weniger einzufangen: Postkarten, ein Daumenkino, eine Weihnachtskarte, Buttons, ein Thermometer, eine Eieruhr. Es war eine kleine Welt, wie man sagte. Und die immer erschwinglicheren Preise für Flugreisen machten sie noch kleiner. Dabei stellten sie den Durchschnittsamerikaner vor das kaum durchschaute Paradox des Tourismus, in dem der Tourist seine ideologischen Requisiten unbewusst überall hinträgt. In einer expansiven Haltung begründete das California Institute of the Arts, wo Baldessari viele Jahre lang lehrte, sein »Post-Studio«-Programm. Doch Baldessaris Atelier löste sich nicht einfach auf und überließ den Künstler der unmittelbaren Konfrontation mit der großen weiten Welt, sondern es schrumpfte auf die Größe eines Arbeitstischs.

2. Die Super-8-Filme

Für seine Super-8-Filme suchte Baldessari kleine, flache Oberflächen und rudimentäre Gesten des Zeichnens und Malens. Oft bewegt eine anonyme Hand

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City Postcard Painting (Baldessari, John), 1971

die Objekte, die auf der Leinwand zu sehen sind. So bringt Baldessaris Kamera einige alte Ansätze des Action Painting neu in den Blickpunkt. Die Filme haben auf ihre Art etwas Lehrhaftes – in gewisser Weise erinnern sie an didaktische Filmstreifen. Ihre Aussagen sind sehr einfach, die Filme dementsprechend kurz, meistens unter drei Minuten. In »New York City Art History« (1971) zeigt die Kamera Nahaufnahmen von farbigen Postkarten und kunsthistorischen Abbildungen in den Straßen von Soho. Zwischen den Postkarten und um sie herum sieht man bewegte Bilder von Fußgängern und Autos. Diese Gegenüberstellung spiegelt offensichtlich den Prozess der Kunstgeschichte: Ikonische Kunstwerke verlieren die Fähigkeit, die Art, wie ein Betrachter etwas sieht, zu verändern – nur weniger kodifizierte Kunst kann dies bewirken. In »New York Green Postcard # 2« und »City Postcard Painting« (1971) übermalt ein rastloser Pinsel mit dicken Strichen die Ansichten der Stadt auf einer Reihe von Postkarten. Hier scheint die Malerei der New York School der Diskursgegenstand zu sein. Die Panorama- Ansichten suggerieren einen monumentalen Maßstab (ähnlich wie Claes Oldenburgs launischeMonument-Entwürfe), dessen Ausmaß sich zugleich aber auf die Abmessungen der Postkarten beschränkt. Auch das Drama der Selbstbegegnung in der Malerei wird zum Souvenir. Dabei ist diese Art der Malerei so gut wie irgendeine andere. Gertrude Stein sagte einmal, sie möge alle Arten von Malerei, solange es nur Farbe auf einer Fläche sei. In ähnlicher Weise sagt Baldessari – in Einklang mit John Cage –, dass alles, auf das man die Kamera richtet, eine Komposition ist. Die Postkarten sind das malerische Äquivalent zu seinem Ansatz in der Fotografie. »Black Out« (1971) ist reduktiver; ein Filzstift kritzelt hektisch über ein Stück weißes Papier, bis es gänzlich schwarz ist. »Water to Wine to Water« (1972–73) reduziert ein biblisches Wunder auf den Status eines Zaubertricks oder eines Vorzeige-Experiments in einer Wissenschaftsshow – und schafft es gleichzeitig, die Kamera auszutricksen. Wie viele andere Super-8-Filme von Baldessari ist dieser Film ein Endlosstreifen, der ursprünglich auf 16-mm-Material gedreht wurde. In dieser Transformation ohne Anfang und Ende wechselt die Flüssigkeit unablässig ihre Farbe, bis das Wunder allmählich lästig wird. Der Künstler als Schamane oder Alchemist erweist sich als

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The Hollywood Film (Baldessari, John), 1972

ein langweiliger Betrug. In »Time/Temperature« (1972–73) messen eine Sanduhr und ein Thermometer Eigenschaften, die ansonsten unsichtbar bleiben. Beide sind ebenso wie die Kamera indexikalische Instrumente, aber wo die Kamera normalerweise unbeachtet hingenommen wird, scheinen die beiden anderen Instrumente völlig offenkundig.

Ein anderer Aspekt, mit dem sich Baldessari in seinen Super-8-Filmen auseinandersetzt, ist die Filmindustrie. Natürlich ist dies schon durch die Wahl des Mediums impliziert, aber einige Arbeiten gehen auch thematisch auf sie ein. So zeigt »Dance« (1971) ein Daumenkino-Buch in Aktion – tatsächlich nichts Geringeres als eine Demonstration der Funktionsweise von Filmen. Dies impliziert unter anderem, dass die filmische Apparatur weniger eine Frage der Technologie ist als der Versuch, das Sehen auf eine bestimmte Weise zu strukturieren. In den verschiedenen Versionen von »Taking a Slate« (1974) präsentiert Baldessari Aufnahmen, die normalerweise auf dem Boden des Schneideraums landen würden. Mal sehen wir eine Sequenz so, wie sie aufgenommen wurde; dann wieder sehen wir, wie derselbe Streifenin einem Filmbetrachter vor- und zurückgespult wird. Das heißt, dass Baldessari zu irgendeinem Zeitpunkt seinen eigenen Film gefilmt haben muss. Außerdem gibt es hier keine Klappe, sondern nur einen Schauspieler, der mit seinen Händen eine Klappe nachahmt.2 Beide Versionen von »Ted’s Christmas Card« zeigen extreme Nahaufnahmen von einer auf Folienpapier gedruckten altmodischen Winterlandschaft. Die Kamera geht so nah an das Objekt, dass man immer nur Ausschnitte der Szene zu sehen bekommt. Die Glamourwelt des Kinos lockt in »The Hollywood Film« (1972–73), wo wieder dasselbe geschieht, diesmal aber mit zwei Buttons mit Porträts von Starlets auf der einen und Spiegeln auf der anderen Seite. Der Betrachter scheint dementsprechend entweder in eine Welt der seichten Fassaden verbannt oder geblendet von dem Licht einer umgekehrten Projektion. Zusammengenommen verhandeln Baldessaris Super-8-Filme, was einmal eine Konfrontation zwischen dem Pinsel und der Kamera war. Heute ist dagegen die Digitaltechnologie zum gemeinsamen Nenner nicht nur von Malerei und Film, sondern auch von Zeichnung, Fotografie und Video geworden; sie alle bilden nun ein ununterbrochenes

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Kontinuum der Bildproduktion. Dieses steht offensichtlich in Entsprechung zu einem ideologischen Komplex – der uns Einblick in ein optisches Unbewusstes ermöglicht.

3. Film als Medium

Sergej Eisenstein meinte, der Film verkörpere die charakteristischsten Aspekte des amerikanischen Kapitalismus. Natürlich dachte er dabei in erster Linie an die Gegenstände der filmischen Repräsentation, aber die politische Ökonomie des Films ist noch präziser. Jonathan Crary schreibt, dass Edisons Genie vor allem darin bestand, dass er das Medium nutzte, um eine ökonomische Verbindung zwischen Hard- und Software herzustellen. Der Film bot in letzter Analyse ein neues System der Quantifizierung und Distribution, das auf der Reziprozität von Fotografie und Geld als homologen Formen der sozialen Macht basiert: »Beide sind gleichermaßen totalisierende Systeme, um alle individuellen Subjekte in ein einheitliches globales Netz der Wertschöpfung und des Begehrens einzubinden. Wie Marx vom Geld sagte, ist auch die Fotografie ein großer Gleichmacher, ein Demokratisierer, ein ›bloßesZeichen‹ und ein ›willkürliches Reflexionsprodukt‹, sanktioniert durch den so genannten universalen Konsens der Menschen. Beides sind magische Formen, die neue abstrakte Beziehungen zwischen Menschen und Dingen erschaffen und diese Beziehungen als real verankern.« [3]

Wie Eisenstein argumentierte, gilt dies insbesondere in den Vereinigten Staaten. Sie haben von allen zivilisierten Nationen die größte Kluft zwischen Arm und Reich, aber die meisten Amerikaner glauben, dass sie in einer mehr oder weniger klassenlosen Gesellschaft leben – oder vielmehr, dass sie alle der »middle class« angehören. Der gleichmachende Effekt der Fotografie bleibt innerhalb der Grenzen des Mediums naturalistisch; wenn Baldessari ihn rückwirkend auf die Malerei überträgt, erscheint er manipulativ. Traditionalisten halten ihn vielleicht für »grausam«, »ungerecht« oder »zynisch«. Hier erfüllt der Humor eine mehr kompensatorische psychologische Rolle, als Vehikel für anders nicht akzeptierbare Enthüllungen.

Paradoxerweise vermeiden Baldessaris Filme die Montage gerade dort, wo man sie normalerweise

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Empire (Warhol, Andy), 1964Sleep (Warhol, Andy), 1963

erwarten würde. Vielmehr reflektieren sie Eisensteins Prinzip der »Typage«, die in konventionellen Filmen durch die Besetzung mit bestimmten Schauspielertypen und die Wahl des Drehorts realisiert wird. Allgemeiner gesagt handelt es sich um ein Prinzip der minimalen Interferenz, durch das die Realität ihre Analogie im Film finden soll. Die vorgebliche Wahrheitstreue der Fotografie ist, wie Michael Taussig erklärt, vergleichbar mit einer sympathetischen Magie, insofern ihr Glaubenssystem auf einer Berührung zwischen den Photonen, die das fotografierte Objekt abstrahlt, und der fotografischen Platte beruht. Andy Warhols Filme »Empire«, »Sleep«, »Eat«, und »Blowjob« gewährleisten augenscheinlich die Kontinuität dieses Kontakts: In ihnen gibt es keine Schnitte, keine Kamerabewegung und ein relativ unbewegtes Objekt. Diese Filme verlangen eine mehrfache »Persistenz der Wahrnehmung«, die das rationale Wissen um die intrinsisch fragmentarische Struktur des Films transzendiert. Das ist der Mythos der »Echtzeit«. Auf diese Weise das Empire State Building zu filmen bestärkt offensichtlich seinen mythischen, existentiellen Status. Im Galeriesystem der neunzigerJahre bereitete Warhols auratische Verwendung der Kamera den Weg für die Integration von Film und Video als aktualisierten Formen der Malerei. Wenn Baldessari einen ähnlichen Ansatz verfolgt, aber ein Sammelsurium banaler Dinge filmt, muß der Betrachter sie ebenfalls als mythische Objekte akzeptieren – oder die dokumentarische Autorität des Films in Frage stellen.

4. Die fotografischen Arbeiten

Im Gegensatz zu seinen Filmen konstruiert Baldessari seine fotografischen Arbeiten typischerweise nach dem Prinzip der Montage. Doch anders als Eisensteins klassische Montagen scheinen Baldessaris Fotomontagen keine Bedeutung zu implizieren. Für sein Rohmaterial benutzt er typischerweise ein Intervalvometer, um Stills von Filmen oder Fernsehsendungen aufzunehmen. Was genau auf den einzelnen Aufnahmen zu sehen ist, bleibt der Willkür des Zufalls überlassen. Die Aufnahmen sind also nicht im üblichen Sinn ›komponiert‹, sondern sie erfassen die Schauspieler – oder die Kamera – in einem Übergangsmoment. Indem er diese Bilder mit anderen, nicht unbedingt ähnlichen Aufnahmen aus anderen

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Filmen kombiniert, reißt Baldessari sie aus ihrem intendierten Erzählzusammenhang. So bringt die Montage latente Bedeutungen der Filmstills in den Vordergrund. (In dieser Hinsicht ist die Fotografie selbst metonymisch, denn die Abmessungen des 35 mm-Kleinbild-Negativs sind unmittelbar vom Format des Kinofilms abgeleitet.) Diese Zweckentfremdung der Fotos befreit sie aus ihrer normalen denotativen Funktion und läßt sie in eine fundamentalere Materialität zurückfallen, die Eisenstein die »faktische Unveränderlichkeit der Aufnahme« nannte. Weil aber die Kamera immer einen Informationsüberschuß produziert, lässt eine Fotografie sich nie auf eine eindeutige Bedeutung reduzieren; dies bleibt der Bildunterschrift überlassen. Auch die »unveränderliche« Aufnahme erlaubt also noch Variationen – jedenfalls auf der Ebene dessen, wie sie verstanden wird. Diese Rückkehr zur Foto-Materialität löst eine befreiende Unbekümmertheit aus. Der Künstler benutzt die Stills, um die Grammatik des Films offenzulegen – ein so tief verinnerlichtes System, dass es für gewöhnlich gar nicht bemerkt wird. Baldessaris Reflexivität reagiert auf diese Weise auf Film undFernsehen als die dominanten Zeichenpraktiken der Massenkultur, als diejenigen Orte, an denen die Subjektivität am nachhaltigsten geformt und transformiert wird. Die Fokussierung auf den Subtext untergräbt nicht nur die Überdeterminierung konventioneller narrativer Bilder, sondern zeigt auch auf, wie Film und Fernsehen eine vertiefte Form der Apperzeption in der Massenkultur kultivieren.

5. Zwischen Glamour und Langeweile

In Warhols Werk entsteht Langeweile vor allem aus der Apperzeption, nämlich aus der verallgemeinerten Erfahrung des Schocks in der Massenkultur. Warhol war auch eine Schlüsselfigur für die Umwertung der Ästhetik des Action Painting. Ordinär gesagt, ersetzte er Farbe durch Pisse. Oder, diskursiver formuliert: Mit seiner Behauptung, dass er eine Maschine sein wollte, setzte er an die Stelle der Authentizität eine romantische Umkehrung von Authentizität. Dies erklärt den fatalen Glamour in Warhols Filmen. Die fundamentale Tragödie dabei ist offenkundig die Zerstörung des Authentischen durch die Kamera: »Die Superstars verblassen.« Das genau ist, was

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Jackson Pollock aus dem Konzept warf, als Hans Namuth ihn beim Malen filmen wollte. Namuth bat Pollock, auf eine Glasplatte zu malen, so dass er das Geschehen von unten her filmen konnte, von dort, wo die Farbe auf die Fläche auftraf. Dafür mußte Pollock so tun, als ob er ein Bild auf das Glas malte. »Als ob« hieß hier, etwas zu malen, das er nicht ausstellen wollte, und auf Glas statt auf Leinwand zu malen. Pollock geriet dadurch in eine persönliche Krise – tatsächlich hatte er aber zu einem früheren Zeitpunkt daran gedacht, auf Glas zu malen, um Malerei und Architektur miteinander zu verbinden. Daraus lässt sich schließen, dass nur die Kamera, der eingeschobene technische Apparat, das verfälschende Element sein konnte, für das er agierte und das seine Gesten zu einem Schauspiel, einem Spektakel machte. Vom objektiveren Standpunkt der Filmform her lässt sich schwer sagen, ob Namuths Ansatz naturalistisch oder anti-naturalistisch war. Baldessaris Kamera ist dagegen darauf spezialisiert, den Glamour auszulöschen. Da die minimalen Ereignisse in seinen Filmen sich in Echtzeit abspielen, ist dies ein Rezept für Langeweile: Langeweile mit einer Spur von Humor – eine klassische surrealistische Formel. Der Effekt ist jedochkeineswegs surreal. Doch wenn der Betrachter zu der erforderlichen mentalen Anpassung bereit ist, das heißt bereit, von der alltäglichen Faktizität der gefilmten Objekte abzusehen, können auch diese Objekte sublim werden. Das ist aber genau das Problem, vor das die Kamera immer stellt: die erforderliche mentale Anpassung. In diesem Sinne wurde Pollock nicht nur von der Kamera ausgebeutet, umgekehrt beutete er sie auch aus. Life Magazine und Vogue brachten großformatige Fotoserien über sein Werk (einschließlich eines Mode-Features von Cecil Beaton). Sie halfen, zusammen mit seinem markanten Aussehen und seinem persönlichen Charisma, ihn zu nationalem Ruhm zu katapultieren. Schon 1946 bemerkte Mark Rothko: »Pollock ist ein eigenständiger, selbstbezüglicher Werbeartikel.« [4] Tatsächlich war nichts davon wahr, nicht einmal auf einer polemischen Ebene. Pollock war nicht unabhängig, sondern wurde von einem Mediensystem gekürt. Er war weniger der Werbende als vielmehr das Produkt. Baldessari kehrt dagegen die Verhältnisse um, indem er sich auf den Platz hinter der Kamera stellt. Nur im Scherz könnte er je von sich behaupten: »Ich bin Natur!« Und nie würde Ed Harris seine Lebensgeschichte verfilmen. Als

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»Saturday Night Life« in den späten siebziger Jahren eine Serie von Sketchen unter dem Titel »Bad Conceptual Art« brachte, hätte Baldessaris Werk sich vielleicht darin wiederfinden können. Aber wo Lob Geringschätzung bedeutet, ist Parodie vielleicht die ehrlichste Form der Schmeichelei. Im übrigen hält Langeweile die Produzenten auf Distanz. Baldessari jedenfalls verspricht, uns beim nächsten Mal zu unterhalten, aber lässt das Versprechen stets unerfüllt.

 

Übersetzung: Christoph Hollender

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