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Themenicon: navigation pathCyborg Bodiesicon: navigation pathWiderspenstige Körper
Widerspenstige Körper
Der Effektkörper als Ort des Widerstands [1]
Yvonne Volkart
 

Dieser Essay geht davon aus, dass der Cyborgkörper ein widerspenstiger Körper ist. Donna Haraway hat diesen aus der Weltraumgeschichte stammenden, im Science-Fiction angewandten, kybernetische Organismen bezeichnenden Begriff appropriiert und für feministische Belange umcodiert. Cyborgs sind sowohl Kriegsmaschinen als auch subalterne, durch die aktuelle Hausarbeitsökonomie feminisierte Menschen. Es sind Fiktionen sowohl techno-kapitalistischer als auch feministischer Provenienz. Und es sind reale Menschen des Informationszeitalters bzw. der »Informatik der Herrschaft« [2] . Der Cyborgkörper ist immer Effekt- und Symptomkörper der neoliberalen Informationsgesellschaft. Er ist dessen Produkt und Sinnbild, sabotierende Durchquerung und alternativer Subjektentwurf. Im Folgenden möchte ich aufzeigen, dass die feministische Cyborgphantasie sich wesentlich über die Vorstellung generiert, dass Widerstand etwas im Körper Lokalisiertes ist. Das ist nichts Neues, gingen doch schon die Feministinnen der 1970er Jahre davon aus, dass der Körper ein Schlachtfeld so. In den letzten Jahren ist jedoch vermehrt die Vorstellung einesfundamentalen Hybride- und Cyborgwerdens jenseits purer technologischer Aufrüstung in den Blick geraten.

Running wild: »The Office-Killer«

Im Film »The Office-Killer« (1996) zeichnet die U.S.-amerikanische Künstlerin Cindy Sherman eine Frau, deren Job im Zuge von Deregulierung, Flexibilisierung und Feminisierung von Arbeit zu einer Teilzeitstelle zu Hause und auf Abruf mutiert wird. Mit einem Computer und einem Modem alleingelassen, stürzt sie zuerst in tiefste Depressionen, bevor sie zur rächenden Mörderin an ihrem Chef wird. In einem weiteren Akt von Selbstermächtigung macht sie sich die vielfältig propagierten Möglichkeiten der digitalen Technologien – realiter ein Mittel zu ihrer Unterdrückung – radikal zu eigen: Via e-mail kaschiert sie den Mord als Selbstmord und braust in einem tollen Cabriolet auf und davon. Die letzte Einstellung des Films enthüllt das anfängliche hässliche Entlein als selbstbewusste Blondine mit sexy Sonnenbrille, die sich souverän in eine optimal vorgespurte Zukunft steuert.

Dieser Film zeigt eine zur Widerspenstigen gewordene Gezähmte. Mehr schlecht als recht

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versucht sie zunächst, sich mit den neuen gegen sie gekehrten Bedingungen zufrieden zu geben, verzweifelt aber daran. Dann fasst sie sich und ordnet die Verhältnisse im Geheimen so, dass sie – ganz privat und allein – wieder gut und glücklich leben kann. Die Protagonistin zettelt keine politische Angestelltenrevolte an, höchstwahrscheinlich ortet sie sich nicht einmal gesellschaftlich. Sie kämpft lediglich ums eigene Überleben, und das tut sie radikal und unangepasst. Widerspenstigkeit ist ein Akt der Selbstermächtigung, der ›weibliche‹ subalterne Weg des Widerstands gegen diskriminierende Verhältnisse. Sie ist nicht Abarbeitung am Bestehenden oder politisch artikuliertes Handeln: Sie ist ein individueller Aufruhr, ein radikaler Überlebensgestus der minoritären, diskriminierten und weiblichen Klasse von Menschen, die zutiefst spüren, dass sie die schlechten Verhältnisse nicht ändern, sondern dass sie Wege finden müssen, mit und in ihnen zu leben, damit sie nicht zu Grunde gehen. Das ist Flexibilität pur und hat weder mit Opportunismus noch mit Fatalismus etwas zu tun.

Widerspenstigkeit ist, im Gegensatz zum (offenen)Widerstand, purer Nihilismus, gekoppelt mit dem Lebenstrieb, und insofern libidinös und destruktiv. »Widerspenstig ist das, was sich nicht fügt, was sich nicht glätten lässt. Eine dumme Haarsträhne oder eine Falte, die sich unerwünscht aufgeworfen hat und nur mit besonderen Mitteln, mit technischem Aufwand oder mit Desinteresse zu bewältigen ist. Oder aber mit Humor. Widerspenstig ist etwas. Widerspenstiges hat eine körperliche, eine erotische Dimension. Und im Begriff klingt – erwünschtunerwünscht – etwas an, das lange Jahrhunderte Weibliches markieren wollte: ein Unwissen, eine Unbewusstheit – und Trotz. Ein kindlicher, fast rührender Ungehorsam gegen das, was sich als unverrückbar und fest behaupten kann. Aber auch ein Ungehorsam ohne erklärtes Ziel, gedankenlos, planlos, anarchisch, der vom Bestehenden auf Dauer nicht geduldet werden kann. Hier setzt die Legitimierung aller Maßnahmen gegen das Widerspenstige an. Das Widerspenstige ist bedroht von gewaltsamer Beugung oder Desinteresse. Noch das Lachen kann es vernichten, wenn es seine ernsten Motive verkennt.« [3]

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Mit diesen Sätzen zur erotisch-weiblich-körperlichen Dimension des Widerspenstigen trifft sie genau das, was mich veranlasste, auch hier im Kontext von »Cyborg Bodies« nochmals dieses Wort zu verwenden: Es assoziiert »Weiblichkeit« in allen Schattierungen und balanciert zwischen (patriarchaler) Zuschreibung und feministischer Selbstartikulation. Der Auslöser für den Titel war Shakespeares »Der Widerspenstigen Zähmung«, ein Stück, dessen Hauptrolle ich selbst vor 20 Jahren spielte, und dessen andere, unterdrückte Botschaft ich nie vergaß. [4] Die zentrale Referenz ist Donna Haraways frühe Cyborg-Figur/ation, die ich mir stets als ein ungezogenes altersloses Mädchen vorstellte. Einer Politik der Selbstermächtigung und Artikulation verpflichtet, forderten ihre als auch andere postfeministische Theorien immer wieder Figurationen weiblicher »Subjekte« jenseits simpler Identitätspolitiken. Sowohl Haraway als auch Rosi Braidotti u.a [5] plädierten dafür, Grenzverwischung und Hybridität zu geniessen, den Zustand der neuen Bedingungen mit ihrer »Informatik der Herrschaft« (Haraway) als Chance für neue Subjekt- und Identitätsentwürfe und Allianzen zu begreifen – was dieProtagonistin in »The Office Killer« ja auch beispielhaft tut. Wichtig an diesen Ideen scheint mir, dass das Moment der Lust und des Genusses sehr stark in den Vordergrund rückt – und zwar bei einem Prozess, der mit sehr viel Verlust, Auflösung und der begründeten Angst vor neuen Formen der Unterdrückung zu tun haben könnte. In dieser produktiven Uminterpretation eines auf einer bestimmten Ebene schlechten Zustands zu einer Chance auf einer anderen liegt meiner Meinung nach ein wesentliches Moment (post-)feministischer Ansätze, wie es auch meiner Idee von Widerspenstigkeit entspricht.

»The Office Killer«, die erste Kino-Produktion von Cindy Sherman – dem Flaggschiff feministischer Kunstinterpretation sozusagen – zeigt aber noch etwas: Zeitgenössische Medienkünstlerinnen können mainstreamkompatibel sein. Dieser an ein Massenpublikum gerichtete Film mutet mit der strukturellen Einfachheit des Plots, der weiblichen Identifikationsfigur und der Frauenpower hollywoodreif an. Widerspenstige Frauen haben nämlich Hochkonjunktur – man denke bloß an den Erfolg eines Filmes wie »Thelma and Louise«, mit dem »The Office Killer«

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Technology / Transformation: Wonder Woman (Birnbaum, Dara), 1976Artificial Changelings (Dove, Toni), 1998

Ähnlichkeiten hat, obzwar er ungleich viel kapitalismuskritischer und feministischer ist. Letzteres deswegen, als er die aufmüpfige Protagonistin nicht in den Tod, sondern in die mögliche Freiheit fahren lässt. Doch auch dieses Bedürfnis ist nichts Neues. So verehrten und appropiierten schon die Feministinnen der 1970er Jahre die weibliche Superheldin Wonder Woman für ihre Zwecke. Dara Birnbaums bahnbrechendes Video »Technology/Transformation: Wonder Woman« (1978?) kann als Vorläufer unserer Diskussion betrachtet werden. Mit anderen Worten: Es herrscht ein großes Bedürfnis nach Widerspenstigen – ein Wunschpotential, das Hollywood, Fernsehen, Independent Film und Videokunst gleichermaßen, wenn auch mit unterschiedlicher Ästhetik und Komplexität, sowohl weckt als auch befriedigt. Auch wenn Hollywood und Soap Operas tendenziell einfachere Strukturen bevorzugen, kann man nicht daraus schließen, dass Künstlerinnen generell komplexere, alternativere und kritischere Produkte oder widerspenstigere Widerspenstige schaffen würden.

Die Basen des Informationszeitalters knacken

Eine Figur, die im 21. Jahrhundert stark das Image der Widerspenstigen vertritt, ist die im Geheimen operierende Hackerin. Die U.S.-amerikanische Künstlerin Toni Dove konzipierte 1998 den ersten Teil einer Trilogie mit interaktivem Video und Soundinstallation, »Artificial Changelings« (Künstliche Wechselbälger), das die Geschichten zweier widerspenstiger Frauen aus zwei Jahrhunderten verknüpft. Die eine ist Arathusa, eine Frau der bürgerlichen Oberschicht aus dem Paris des 19. Jahrhunderts, die, wie anscheinend viele andere Oberschichtsfrauen damals auch, den Verlockungen der schönen Waren in den neu eröffneten Kaufhäusern nicht standhalten konnte und sich zur leidenschaftlichen Kleptomanin entwickelte. Der Kitzel des Gefährlichen und Unerlaubten beim Klauen irgendwelcher Nichtigkeiten beschert ihr ein aufregendes Leben, in dem sie sich über die alltäglichen Ordnungen bourgeoiser Weiblichkeit hinausheben kann. Als Produkt der kapitalistisch-bürgerlichen Ökonomie zersetzt sie schleichend dessen Gesetze, ohne diese jedoch öffentlich anzuprangern. Die andere ist Zilith, die

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Hackerin, die in Datenbasen eindringt und Informationen abzapft. Außer dass sie die diffusen Bewegungen der neuen dezentralisierten Machtdispositive erkunden wolle, erfährt man nicht viel über die Inhalte und Beweggründe, die die Hackerin zu ihren Aktionen bewegen. Die künstlerische Botschaft scheint bei beiden Frauen die Facetten ihrer Überschreitungen zu sein, ihre inhaltlichen Motive interessieren Dove nicht. Dieser Aspekt wird durch die Art und Weise der interaktiven Installation verstärkt, die kurz gefasst so gestaltet ist, dass man als Betrachterin durch Hin- und Hergehen sowie Hand- und Armbewegungen vor dem Screen den Lauf der Handlung und die diversen Einblicke in die Charaktere mehr oder weniger selbst bestimmt. Das Gemeinsame und Verbindende dieser Dreier-Konstellation ist das Moment der Bewegung, des Eindringens in das Reich der anderen und des Sich-Vernetzens. Das bewirkt eine körperliche Annäherung, ein Suchen, ein Tasten, ein Nicht-Wissen auf Seiten der ZuschauerIn, analog zu den Ausschweifungen der Kino-Figuren. Die interaktive Installation bietet ein Setting an, das zur (symbolischen) Identifikation mit den beidenWiderspenstigen aufruft, in der es nicht primär um politische Inhalte, sondern um die sabotierende ›Politik‹ (im Sinne von Praktik) unbewusster Triebe und Wünsche von Frauen im Kapitalismus geht.

Schon seit längerem befasst sich die Hamburger Künstlerin Cornelia Sollfrank mit der Recherche von weiblichen Hackern und machte dabei die Erfahrung, dass es ein völlig männerdominiertes Feld ist. Nichtsdestotrotz konzipierte sie eine mehrteilige Video-Serie, in der sie Interviews mit Hackerinnen führt. Im Dezember 1999 lernte sie beim jährlichen Hackertreffen des Chaos Computer Clubs eine US-amerikanische Hackerin kennen, mit der sie das Videointerview »Have Script, Will Destroy« führte. Bedingung war, dass die Frau mit dem Codenamen Clara G. Sopht anonym bleiben und keine Konkretionen zu ihrer Tätigkeit geben wollte. Das Resultat ist ein sehr theoretisch geführtes Interview über aktuelle Formen politischen Widerstands, konterkariert mit verführerisch-schönen, geheimnisvoll-diffusen Bildern einer Frau mit Sonnenbrille und Kappe, die sich in einem Low-Tech-Szenario bewegt. Auch hier fehlt letztlich die konkrete Botschaft der Frau, wichtiger ist

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Involuntary Reception (Lucas, Kristin), 2000

ihre Repräsentation als reflexive und in undurchsichtige politische Zusammenhänge involvierte Agentin, die behauptet, die ideologischen Basen des Informationszeitalters zu hacken.

Den dritten Typus einer Hackerinnenmentalität kreierte Kristin Lucas mit ihrem Video »Involuntary Reception« (2000). Darin spielt sie eine Frau, die frontal aufgenommen, über sich und ihr Leben mit einem Körper spricht, der ein riesiges elektromagnetisches Stromfeld (EPF) hat. Dieses Feld sieht man im Video als Form eines sich ständig bewegenden blitzartigen Zackenstreifens, sie selbst ist von einer Art Aureole erleuchtet, welche das Stromfeld kennzeichnet. Es bewirkt, dass sie überall, wo sie sich befindet, Störungen und Interferenzen in elektronischen Geräten auslöst, das heißt sie kann eigentlich nirgends hingehen, ohne zu stören und etwas kaputt zu machen. Am unauffälligsten kann sie sich in Großraumbüros oder in einer Menge bewegen, weil da immer irgendetwas los ist und sie in der Masse verschwinden kann. Sie erzählt davon, wie sie aus Versehen jemanden mit einem Herzschrittmacher und ihre geliebte Katze umbrachte; und im Wasser zuschwimmen traut sie sich deswegen auch nicht. »The scary part is that I can’t predict – what I’m going to do… I’m like a freak, I don’t know.« Es ist ihr irgendwie mutierter Körper, der das tut, denn sie selbst scheint und bemüht sich, ein nettes, normales Mädchen zu sein, die sich auch nicht für »terroristische« Akte anheuern lässt, wie etwa Harddisks vorsätzlich zu löschen. Wegen ihres starken Stromfeldes kann man sie nicht elektronisch aufnehmen, denn es löscht umgehend alles aufgezeichnete Material. Das erlaubt ihr eine gewisse Privatheit, die sie andererseits kaum hat, weil sie ständig negativ auffällt und weil auch viele hinter ihr her sind, um ihrem körperlichen Rätsel auf die Spur zu kommen. Natürlich wird sie ständig überwacht, z.B. vom FBI oder CIA, und natürlich erklärt sie nicht warum, weil die metareflexive Position nicht die ihre ist. Sie spielt das Symptom, das Produkt einer durchtechnologisierten (Kontroll-)Gesellschaft, in der alle Spuren aufgezeichnet und decodiert werden können, in der der Körper seinen Wert allein als Informationsträger hat, in der niemand mehr privat sein kann, in der Datenschutz und Kryptografie ein Politikum sind und in der es auch keine Intimität und

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Host (Lucas, Kristin), 1997

wenig Liebe gibt.

Lucas’ Protagonistin ist eine Superheldin und anerkannte Spezialistin, die sich durch Unauffälligkeit zu decken sucht. Sie verkörpert und pervertiert am eigenen Leib die Ideologien und Zustände unserer Zeit: »I’m my own sub-subculture«. Authentizität wird durch ständige Geräusche und Piepstöne oder durch Bildstörungen – Ersetzen ihres Bildes durch aufgezeichnetes Videomaterial – suggeriert, aber es ist gleichzeitig klar, dass »Involuntary Reception« die artifizielle (Low-Tech-) Performance einer fiktiven Figur ist. Denn von ihren Fähigkeiten erfährt man eigentlich nur durch ihre Erzählungen, die stockend, manchmal verworren und höchst widersprüchlich sind. Manchmal ist man nicht einmal mehr sicher, ob es überhaupt sie ist, die spricht. Damit wird der Illusionscharakter des Videos hergestellt, aber fast gegenläufig auch dessen Wahrheitsanspruch relativiert. Mythisch mutet ihre Herkunft an, über die dunkel gemunkelt werde, wie sie erzählt, und über die sie selbst nur soviel sagen könne, als dass immer eine grosse Liebe war zwischen ihr und ihren Eltern, die vermutlich eher nicht die leiblichen sind. Ähnlich wie die bisher diskutierten Figuren hatauch diese keine weltverbesserische Botschaft. Ihre Widerspenstigkeit resultiert allein aus ihrem Nicht-anders-Können, aus ihrem So-Sein, das mit der Umwelt permanent kollidiert – mithin aus ihrer ›biologischen Determiniertheit‹. Dieser Biologismus ist aber durch ihr cyborgartiges Wesen, das längst schon jede Natürlichkeit eingebüsst hat, ironisch gebrochen. Die Gefahr, die ihr Körper für die Umwelt darstellt, besteht darin, dass es zu einer Art Verdoppelung und Verstärkung technoider Effekte kommt, die so nicht mehr tragbar scheinen, weil sie unkontrolliert und unkontrollierbar sind und weil sie von einem außerhalb der dominanten Machtdispositive stehenden Individuum ausgehen.

Auch im bereits im Jahre 1997 entstandenen Video »Host« positioniert sich Lucas an der Stelle des Symptoms, da, wo ein realer Körper nur noch Ströme von Daten und Informationen ist. Doch während sie in der neueren Arbeit Momente ironischer Selbstermächtigung und Widerspenstigkeit einbaute, zeigt »Host« die traumatischen Erfahrungen einer neuartigen Form von Machtlosigkeit und Isolation innerhalb einer vernetzten Kommunikationsgesellschaft.

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In diesem sieben Minuten dauernden Video spielt sie eine junge Künstlerin, die Hilfe für ihre Probleme bei einem an der Strasse gelegenen Computerkiosk sucht. Zu Beginn des Videos wird sie von einer freundlichen, weiblichen Stimme aufgefordert, ihre Daten einzutippen und ihre Probleme zu erzählen, damit man ihr helfen kann. Sie gerät damit aber auch in eine Online-Therapie-Session, die über das World Wide Web ausgestrahlt wird, denn die System Operator ist auch die Online- Kundenservice-Technikerin. Lucas selbst spielt alle Rollen. Und obwohl die Stimme nett ist und Hilfe verspricht, entlässt sie sie am Ende ohne Unterstützung: »If you would like to save your life…, please enter initials…To exit this program, please use the escape button.«

Die Künstlerin/Frau/Cyborg/Angestellte befindet sich auf beiden Seiten des Szenarios: Sie ist Anwenderin und mit dem Internet verschaltete System Operator gleichzeitig. Was wir hier zu sehen bekommen, ist nicht mehr ein homogener und geschlossener Techno-Körper mit neuen Fähigkeiten. Wir sehen vielmehr die Inszenierung eines weiblichen Körpers, der von neuen Technologien und Medienüberwältigt, durchströmt und völlig konstruiert ist. Allerdings nicht im Sinne eines Upgrades oder einer Verbesserung von Möglichkeiten, sondern eher im Sinne eines anderen Körperzustands in Richtung einer Verflüssigung und eines Durchströmtwerdens. Für einen solchen offenen und porösen Körper macht es keinen Unterschied, auf welcher Seite des Systems er positioniert ist: Die Grenzen sind verschwommen, Subjektivität ist verschwunden und Handlungsfähigkeit ist in eine maschinenartiges Spiel von Interaktivität übergegangen. Die Sysop (System Operator), obwohl sie die aktive Rolle innezuhaben scheint, wird ebenso von Wellen und Strömen geleitet wie die Anwenderin.

Biological Warfare

Die widerspenstige Figur als Spiegelbild, als Abdruck und Produkt ihrer Zeit war sowohl das Thema von »Artificial Changelings« als auch von »Involuntary Reception«. Möglicherweise ist auch Lucas’ Figur ein Wechselbalg, oder ein Findling, ein Cyborg aus dem Weltall oder eine Mutation. Zumindest ist ihre Abkunft irgendwie ›unnatürlich‹. Dass Widerspenstigkeit quasi genetisch bedingt ist, weil der Widerstand als

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White Trash Girl (Reeder, Jennifer), 1995

unbewusster im Körper selbst lokalisiert ist und sich damit der Diskursivität zuerst einmal entzieht, macht ja, wie ich zu Beginn andeutete, das Spezifische, respektive das spezifisch Weibliche des Begriffs Widerspenstigkeit aus. Mit den bisher diskutierten Beispielen wurde auch klar, dass es nicht in meiner Intention liegt, solche Zuschreibungen naiv weiterzuschreiben, sondern sie vielmehr strategisch zu nutzen und aggressiv einzusetzen, weil in solchen hypertrophen Fiktionen eine Kraft liegt, die man vielleicht etwas vergessen und unterschätzt hat.

Eine fulminante und leibhaftige Inkarnation des Mülls unserer Zeit kreierte die U.S.-amerikanische Videokünstlerin Jennifer Reeder mit der Figur »White Trash Girl«, aus der gleichnamigen Trilogie (1995–97). Wie Lucas spielt sie selbst die Protagonistin, deren Name ein Schimpfwort für die weiße Unterschicht ist. Der Vorspann zum ersten Teil »The Devil Inside Me« beginnt mit Geräuschen fahrender Autos und dem immer eindeutiger werdenden Bild eines Embryos. Darüber legt sich ein Text, der wie ein Märchen beginnt: »Once upon a time there was a little girl who was raped by her uncle. She got pregnant and flushedher baby down the toilet, then killed her uncle and herself. The baby wiggled around in the sewer sludge for a long long time. The ooze fed and nourished the baby, it made the baby strong – super strong. Her tiny baby body became more toxic with every tiny baby breath and every tiny baby heartbeat. None knew then that this weren’t no ordinary baby. This was a super baby. This was WHITE TRASH GIRL. Now, she’s all grown up and she’s waging biological warfare on any dumb fuck who asks for it. White Trash Girl is turbo charged and she’s coming at you faster than you can scream. HATCHET WOUND.« In der nächsten Einstellung sieht man eine coole Blondine mit schwarzer Sonnenbrille einen Kastenwagen fahren. Ein Polizeiauto verfolgt sie, und sie baut prompt einen Unfall. Der Polizist zieht die Pistole und schlägt die Scheibe ein, dann sehen wir White Trash Girl davon rennen und sich hinter einer Mauer verstecken. Als der Polizist kommt, schlägt sie ihn nieder und verprügelt ihn so brutal und gewalttätig, wie man es von einer Frau kaum je gesehen hat. Sie lässt Spucke aus dem Mund, zieht sie wieder ein, ein biologisches Befruchtungsbild schiebt sich ein, schwänzelnde Spermien, ein

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mandelbrotartiges Ovum, ein cyborgartiger Körper, dann spuckt sie, und wir sehen, wie ein Polizist mit einem grauenhaft zerquetschen Gesicht in den Krankenwagen geschoben wird. Dann geht »The Devil Inside Me« an, in welchem die Geschichte ihrer Zeugung und ihrer Existenz gezeigt wird.

Ihr Leben verdankt White Trash Girl mehreren Gewaltakten, die sie nicht nur abhärteten für die Brutalitäten des Lebens, sondern sie nachgerade als den legitimen Bastard einer ›dreckigen‹ Gesellschaft auszeichnen. Sie kommt, um mit Donna Haraway zu sprechen, buchstäblich »aus dem Bauch des Monsters«, aus dem Untergrund (in seiner doppelten Bedeutung), dem Schlund und Abort dieser Stadt, und sie kann deshalb niemals unschuldig sein, auch wenn sie von ihrer gutherzigen Pflegemutter »Angel« getauft wurde. Zeugung mittels Vergewaltigung durch ein männliches Familienmitglied ist ein literarischer Topos der Underground- Literatur, z.B. bei Jean Genet oder Kathy Acker, der die Gewalt im ödipalen System, die permanente Unsicherheit und Ungeborgenheit, der sich Frauen v.a. im Haus gegenübersehen, klar benennen. Deshalb ist White Trash Girls wahresZuhause die dystopisch anmutende urbane Stadtlandschaft. Immer wieder sehen wir sie mit pinkfarbenem oder glänzendem Minirock, Stiefeln – und im zweiten Teil der Triologie »Law of Desire« manchmal auch mit Cowboyhut – kraftvollen und breiten Schritts durch die Strassen und über Schutt und Müll stampfen. Kräftig gebaut, groß, monumental posiert sie auf einem Steinhaufen, eine Schönheit und Superheldin ganz anderen Zuschnitts. Greift ihr einer an den Hintern, wird sie zur keifenden »Shrew«, gibt es andere sexuelle Übertritte, spritzt sie zähe Flüssigkeiten oder schlägt die Täter gnadenlos zusammen. Die ghettoartige Stadt ist ihr Reich, ihr Körper ist Teil davon, Stadt und Körper sind untrennbar eins. Das wird nicht nur durch die Herkunft Trash Girls aus dem Abwasserkanal und der Schlicke evoziert, sondern auch durch den Vorspann, wo das Bild des Embryos mit Autolärm überlagert wird und das Bild in das Auto fahrende Trash Girl übergeht. Durch die ganze Serie hindurch blenden sich regelmäßig Einstellungen von Verdauungsorganen und anatomische Körperbilder mit besonders markierten Eingeweiden ein. Die Kamera fährt in die Speiseröhre wie in einen Tunnel,

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Speisebrei drückt sich durch diesen hindurch wie die Flüssigkeiten, die Trash Girl an die Angreifer verspritzt, oder die Schlacke, aus der sie stammt, Zähne blinken auf, wo vorher ein Steinhaufen war. Es ist alles ein Ineinander von Flüssigkeiten, Fleisch, Morast und Trümmern.

In »White Trash Girl« herrscht Krieg, das wird in »Law of Desire« durch rhythmische Einblendung von Kriegsbildern unterstrichen. Leben heißt hier überleben, und das gelingt White Trash Girl nur, weil sie es selbst radikal in die Hand nimmt und sich mit einem Netz von Freunden eine breite Sicherheitszone um ihren Körper – eine toxische Chemiewaffe -schafft. Denn soviel ist klar, dass auch die Polizei nicht für ihre Sicherheit sorgt, ganz im Gegenteil, sie sind die Hüter des weissen Bürgertums und verfolgen Minoritäten bis aufs Blut. Weibliche Widerspenstigkeit im Kontext von Straßen, Autos und Polizisten ist auch das Thema in der Videoarbeit »Ever is Over All« von Pipilotti Rist, auch wenn hier im Gegensatz zu den bisher besprochenen Projekten weniger der Aspekt des Hybriden und Cyborghaft-Zusammengesetzten ins Spiel kommt. Und doch ist bereits der KünstlerinnennamePipilotti eine Referenz an die freche und autonom lebende Göre Pipi Langstrumpf – ein Vorbild gleich für mehrere Generationen von Mädchen. Das Video beginnt mit dem Bild einer Frau in hellblauem Kleid und roten Schuhen, die leichtfüßig die Straße hinuntergeht. Sie ist mit einer riesigen phallusartigen Blume bewaffnet, mit der sie heiter lachend Autoscheiben einzuschlagen beginnt. Dann kommt ihr eine Polizistin entgegen. Aber statt dass nun der Kampf losginge, grüßt die Polizistin freundlich, und das Randalieren nimmt weiter fröhlich seinen Lauf. Im Gegensatz zu Reeders »Angel« scheint Rists hellblaue Schlägerin wirklich ein vom Himmel geschickter Engel zu sein, obwohl auch sie ein ziemliches Gewaltpotential hat. Aber die Szene ist nett und harmlos. Dieser Eindruck rührt nicht nur von der scheinbaren Leichtigkeit ihres Tuns und dem Fehlen einer wirklich gefährlichen Waffe, sondern auch von der augenscheinlichen Sisterhood zwischen Randaliererin und Ordungshüterin. Diese Welt ist auf dem besten Weg, ein Paradies zu werden, heißt das. Weg mit den stinkenden Blechkisten, hin zum Frauen-Flowerpower, denn Charme regiert die Welt. Die Widerspenstigkeit

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Dollspace (da Rimini, Francesca)

hier ist keine dystopische, vom Überlebenstrieb gezeichnete, sondern eine utopische, die sich gewissermaßen aus der Fülle und der Schönheit des Lebens speist. Dessen Möglichkeiten zur Überschreitung sind groß und lustvoll und werden mit vollem Herzen genossen. Rists Blechlawinenkritik mutet etwas naiv und versöhnlich an, wo es, das lehren die Überlebensphilosophien der anderen Arbeiten, keine Versöhnung geben kann, andererseits ist die Arbeit auch ein spannender Versuch, weibliche Widerspenstigkeit in der scheinbaren Harmlosigkeit und Nettigkeit junger Frauen zu verorten.

Monströses Begehren

Ähnlich wie White Trash Girl, so kommt die Protagonistin Dollyoko der netz- und hypertextspezifischen »Ghostfiction« »Dollspace«, buchstäblich aus dem Sumpf. Diese Arbeit der australischen Künstlerin Francesca da Rimini ist aus den LambdaMOO-Abenteuern Gashgirls aka Francesca da Rimini entstanden. Dollyoko ist die weiterentwickelte Figur der Netzidentität Gashgirl, deren (sexuelle) Abenteuer und Phantasien kapitelweise in »Dollspace«eingestreut sind. »Dollspace« ist ein komplexes, labyrinthhaftes Webenvironment aus Bildern, Hypertextfiktion, Auszügen aus den LambdaMOOs und Marquis de Sade. Links führen zu den Seiten und Erzählungen der Zapatista, wo Dollyokos Identität eine weitere Deckung mit der von Commandante Ramona, einer authentischen Figur, erfährt.

Gleich zu Beginn lesen wir, dass Dollyoko eigentlich tot ist, ertränkt in einem Sumpf in Japan, in den unerwünschte weibliche Kinder jeweils versenkt wurden. Sie ist Geist, »as all women are ghosts and should rightly be feared«.Und so wie sie selbst Effekt monströser Verhältnisse ist, so hat auch sie monströse sexuelle Begierden nach jungen Männern, die sie töten und von denen sie selbst getötet werden möchte.

Dollyokos Namen sind viele -Doll/Gashgirl/Ghost/Puppetmistress/I – weil es sie als die authentische Eine nicht gibt. Sie ist nicht eine ›natürlich‹ geborene Frau, sondern die ›natürliche‹ Ausgeburt/Kopie/Essenz einer frauenfeindlichen, kapitalistischen (Cyber)Welt, die Monster gebiert. Verwundet, getötet, erniedrigt und voller Macht- und Gewaltphantasien ist sie grausam lebendig und total

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The Internal Organs of a Cyborg (Prophet, Jane), 1998

widersprüchlich. Ihr Zuhause ist der paradoxe Zwischenraum »deep dollspace zero«, hinter den geschlossenen Lidern, in den man sich zu Beginn hineinklickt. Obwohl jede Seite mit einem oder mehreren Bildern und einem intensiven elektronischen Sound illuminiert ist, ist Dollyoko vor allem eine textuelle Konstruktion, die simple Identifikationsmuster sprengt. Dies geschieht vor allem durch den Einsatz des Personalpronomens »Ich«, das gleichermaßen ein Platzhalter für die Autorin, Protagonistin und die NetzuserIn, also personenüberschreitend ist und zur Identifikation mit den wilden Wünschen zwingt. Die vordergründige Kohärenz einer möglichen virtuell-digitalen Figur löst sich auf in die diffundierenden Ströme polyvokalen Begehrens, zu deren Teil man klickend wird. Dollyoko ist die Andere, zu der man nicht durch Einfühlung oder Projektion wird, sondern weil sie, so wie man selbst, »ich« sagt, und man in der Ichform die Geschichte vorantreiben muss, will man in ihren Sumpf/Cyberspace eintauchen.

Tod und Leben in der Cyborggesellschaft

Auf lakonisch-absurde Art verkörpern dieProtagonistInnen in Jane Prophet's »The Internal Organs of a Cyborg« die geschlechtsspezifischen und sozialen Machtverhältnisse in einer Welt der Cyborgs. Die CD-ROM lässt zwei Geschichten in Ich-Form parallel ablaufen. Die eine handelt von einer Frau, die seit ihrer Kindheit an biotechnologischen Experimenten teilnimmt. Sie wird angeschossen, im Spital sieht man, dass sie keine richtige Krankenversicherung hat und lässt sie sterben. Ihr Herz nimmt man zur Organtransplantation. Diese Geschichte läuft im oberen Sektor ab. Im unteren Bildsektor der CD kann man die Geschichte eines erfolgreichen Geschäftsmannes lesen, der einen Herzinfarkt bekommt. Im Spital macht man eine Herztransplantation, und er überlebt. Allerdings hat er das Gefühl, dass er in ein anderes Leben hineingerät. Im oberen Sektor lesen wir, dass die Frau auf eigene Kosten ein Implantat machen ließ, das ihre Persönlichkeit bei ihrem Tod in ihr Herz lädt.

Diese Geschichte ist aufgemacht wie ein Fotoroman, wobei man die beiden Stories gleichzeitig oder hintereinander lesen kann. Das Szenario ist wie aus einem Cyberpunk-Roman: eine dystopische,

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Zwei-Klassen-High-Tech-Gesellschaft, die auf Ausbeutung der Armen beruht. Der Clou dieser Geschichte ist, dass das vermeintliche Opfer die heimliche Siegerin ist, dass sie letztlich von diesen biotechnologischen Experimenten, deren Versuchskaninchen sie ist, profitieren kann. Offen bleibt, wie sie mit der Tatsache umgehen wird, von nun an in einem fremden männlichen Körper zu leben, wie sie ihn sich zu eigen machen, sich mit ihm identifizieren wird. Offen bleibt auch, was es für ihn bedeutet, im selben Körper eine andere zu sein. Diese Fragen, die jetzt schon viele Menschen bewegen, die Transplantationen über sich ergehen lassen müssen, interessierten Prophet nicht. In ihrer Arbeit geht es eher um das Verstörende, das eine Gesellschaft produziert, die High-Tech-Möglichkeiten nicht zum Wohle aller einsetzt. Sie zeigt, dass neue Technologien in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht nur unterschiedlich eingesetzt wird, sondern auch unterschiedliche Identitäten kreieren. So war die junge Frau z.B. schon als Kind diesen Versuchen wahllos ausgesetzt. Ihre vermeintliche Weitsicht, in Schwarzmarkt-Implantate als Ausweg aus ihrerkontrollierten Situation zu investieren, hat sie womöglich nur noch abhängiger (der Mörder ist ein Händler). Liest man die Geschichte so, nämlich nicht als Erfolgsstory eines Outcasts, dann hat sie Biotech und kapitalistische Interessen nicht für ihre Freiheit transformieren können. Dann hat sie lediglich jenes Ende gefunden, auf das sie von Anfang an unwiderruflich zusteuerte. Dann ist ihr Los, sich mit jemandes anderem Körper identifizieren zu müssen, einfach der logische Schritt eines unfreien Cyborg-Lebens, das sie nun als Chance wahrnehmen und damit zu ›leben‹ beginnen könnte.

Mobile Körper

Die bisher diskutierten künstlerischen Entwürfe von widerspenstigen Cyborg- Körpern gründen auf Fiktionen, stellen aber immer einen Bezug zur Realität her im Sinne von: So könnte es sein. Am Beispiel der Schweizer Künstlerin Ursula Biemann soll zum Schluss eine ästhetische Strategie diskutiert werden, die semidokumentarisch bzw. essayistisch verfährt. Biemann geht es immer wieder um die Frage, welche Rolle territoriale Grenzen, neue Technologien und

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Performing the Border (Biemann, Ursula), 1999

weibliche Körper im Kontext der neuen internationalen Arbeitsteilung spielen. In ihren Videoessays »Performing the Border«, »Writing Desire« und »Remote Sensing« zeigt sie, um mit Saskia Sassen zu sprechen, die Frauen als Benutzerinnen der vom internationalen Kapital geschlagenen transnationalen Brücken, sie zeigt die weiblichen Körper als mobile Körper, als Körper in Bewegung, im doppelten Sinn des Wortes: Als Körper, die durch die neue Mobilität neuartig ausgebeutet werden als auch neue Wege finden können.

In »Performing the Border« (1999) diskutiert Biemann am Beispiel der strategischen Bedeutung der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juarez, dass dieser Ort mit seinen Maquiladoras [6] sowohl ein Ort der Ausbeutung der Frau im Zeitalter transnationaler High-Tech-Konzerne als auch ein Raum zur Konstruktion von Körpern, Geschlechtern, Identitäten, Nationen und Grenzen überhaupt ist. Landkarten, Zäune, digitale Grenzlandschaften und Kontrolltechnologien visualisieren die territoriale Nord-Südkonstruktion und parallelisieren sie mit der von Biemann nur verbal angedeuteten Körperkontrolle und Überwachung, der die Frauen am Arbeitsplatzausgesetzt sind. Mithin, Körper- und territoriale Grenzen werden als Effekte ähnlicher Bedingungen dargestellt; beide sind nicht natürlich entstanden. Eine Ästhetik von Mobilität und Fluktuation, die begrifflich den Diskurs um Migration, transnationales Kapital und Industrialisierung umreißt, bestimmt den visuellen Rhythmus des Videos, der nur durch die Einblendung dasitzender sprechender Theoretikerinnen und Aktivistinnen ins Stocken kommt. Mit der Kamerafahrt aus einem Auto beginnt das Video, mit tanzenden Körpern endet es. Dazwischen die Bewegungen der in die Maquiladora strömenden Frauenmassen, die morgendlichen Busfahrten dorthin, die Autos und Reiter in der Wüste, das Ausgraben der toten Leiber, die flimmernden Bilder im Fernsehen, die virtuellen Detonationen von Minenfeldern, die Fahrt entlang der 5000 Meilen langen Grenze, das treibende Schlauchboot, die Lauftexte, die von Hand Wäsche waschende Frau, das die Strasse hinuntergehende kleine Mädchen: »Sie ist immer noch ein kleines Mädchen. Findet sie einen Weg, sich durch diese kulturellen Brüche zu steuern?«, fragt die weibliche Stimme im Off. Die Bewegungen der Kamera, der

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Remote Sensing (Biemann, Ursula)Writing Desire (Biemann, Ursula), 2000

Filmmontagen, der Menschen können als die ästhetische Inszenierung und Ineinanderschaltung eines Diskurses von Migration und Kapitalfluss interpretiert werden, der die verschiedenen Felder mittels dieser gemeinsamen Eigenschaft ineinander schaltet und damit strukturell gleichschaltet: der Rhythmus des Fließbandes, der Fluss des Finanzkapitals aus dem Norden, der Menschen aus dem Süden, die stampfenden und klatschenden Mädchen beim Schönheitswettbewerb, des weiblichen Begehrens, wie es sich in den Liebesliedern artikuliert, die in den morgendlichen Busfahrten oder in der Disco zu hören sind, der Hiebe und Stiche, denen die Frauen zum Opfer fallen: alles ist Effekt dieser Bedingungen von Bewegung und Grenzverschiebung, die voller Widersprüche sind. »Gender spielt für das Finanzkapital eine Rolle«, sagt ein Lauftext, eingeblendet werden Anzeigen von Fabriken, die explizit hübsche Frauen als Arbeiterinnen anwerben und Schönheitswettbewerbe zur Motivation ihrer Angestellten durchführen. Biemann enthüllt nicht nur das Leben an der Grenze als Set völliger Sexualisierung sie zeigt darüber hinaus auch, dass die (Re- )Stabilisierung von Geschlechtimmer noch und immer wieder ein Mittel zur Kontrolle, mithin Produktion von Menschen ist. Mit anderen Worten, sie macht evident, dass die globalen Konzerne durch die Arbeitsplatzbeschaffung für Frauen und deren Ermächtigung zu Konsumentinnen einer für sie aufgebauten Vergnügungsindustrie einerseits einen Prozess der Zerstörung patriarchaler Strukturen einleiten, der andererseits wieder gesucht wird unter Kontrolle zu bringen. Ähnliche, ebenfalls durch die Globalisierung forcierte Machtstrukturen enthüllt Biemann auch in ihren Videos »Remote Sensing« (2001), das sich dem Trafficking von Frauen für die Sexarbeit widmet, oder »Writing Desire« (2000), das der Vielfalt des erotischen Begehrens einerseits, der Kommerzialisierung des Körpers und der Wünsche im Zeitalters des Computers andererseits auf der Spur ist.

Biemann zeigt Frauen, vor allem diejenigen aus den armen Ländern des Südens und Ostens, als ausgebeutete Cyborgs, als verkörperlichte Effekte und Symptome des globalen Kapitalismus und seiner Technologien heute, die nicht für alle gleich sind. Trotz dieses tristen Befundes werden aber auch die identitätsverändernden Auswirkungen und andere

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The Office Killer (Sherman, Cindy)

Lebensmöglichkeiten gezeigt. So sagt eine Stimme im Off zu Beginn von »Performing the Border«, während man eine Frau durch die Wüste fahren sieht: »Ich kenne Concha seit fünf Jahren. Sie kennt alle Möglichkeiten, wie man die Grenze überqueren kann. Ihre Stategien sind vielseitig und variabel.« Wie Cindy Shermans »The Office Killer« sind die Videos von Biemann von der Hoffnung getragen, dass ihre HauptagentInnen sich in dieser Cyborgisierung flexibel erweisen und andere Wege einschlagen können, als die, die für sie vorgesehen sind.

Von der Cyborg zur Cyborg

In allen hier besprochenen Arbeiten wird der Cyborgkörper als ein Effekt- und Symptomkörper des Informationszeitalters gezeigt: als Körper, der nicht mehr eine fixe, von der Außenwelt abgeschottete Einheit ist, sondern ein Körper, der durchlässig ist, flexibel, hybride und mobil. Diese widerspenstigen Cyborgs sind im hier diskutierten Rahmen vor allem Frauen, weil es diesen Künstlerinnen darum geht, über die Rolle von Frauen und Geschlecht in der Informationsgesellschaft nachzudenken und neueSubjektentwürfe für Frauen vorzuschlagen. Diese Widerspenstigen sind feminisiert, ausgebeutet, posthuman. Sie alle kämpfen um ihr Leben in einer Welt, die ihnen als Menschen keinen Raum geben will, sondern sie vielmehr dazu zwingt, Cyborgs zu werden und als Cyborgs zu handeln.

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