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Themenicon: navigation pathBild und Tonicon: navigation pathMusik als Modell
Meine Musik ist ein Modell für Musik
Markus Popp (Oval)
Wohnton (Popp, Markus), 1993

»Ovalprocess« [1] ist ein Dokument meiner Arbeit auf mehreren Plattformen: Da gibt es eine Softwareschnittstelle, dann Terminals im öffentlichen Raum, ein interaktives Klangobjekt und Audio-CDs, die bei verschiedenen Labels erschienen sind. Das zentrale Statement von »Ovalprocess« ist, dass elektronische Musik unhintergehbar durch die verwendete Software geprägt und begrenzt ist. Als Produzent von »Ovalprocess« geht es für mich um eine kritische Interventionsoption in der Simulation von Musik auf der Ebene der Productivity Software. Das bedeutet zunächst, dass ich mich in Verhältnissen einrichte, in denen Musik als Kategorie und kultureller Container lediglich als ein Soundeffekt oder eine besonders effektive Kompressionstechnologie vorkommt. Das erlebe ich als eine kriterienfreie Sphäre, denn das letzte verbliebene Kriterium zur Definition von elektronischer Musik ist das Fileformat: MP3s oder Audiodateien sind dadurch definiert, dass sie keine Textdateien sind oder dass sie mit einer bestimmten bitrate komprimiert sind und das war’s dann auch schon. Deshalb erscheint mir elektronische Musik im Zeitalter von Powerbook Authoring eher als eineallgemeine Businessstrategie und als Betatest eines sehr produktiven, allgegenwärtigen Authorings: Mit jedem verkauften IBook haben wir zwei bis drei neue Recording Artists, drei neue Alter Egos und ein neues Label dazu. Elektronische Musik nur als Musik mit großem M zu verhandeln – also sprich: Musik, wie wir sie kannten und nichts hat sich geändert –, verdeckt meines Erachtens die relevanten Probleme. Kommerziell ist es natürlich unverzichtbar, elektronische Musik immer wieder als Produkt zu lancieren. Aber zur Analyse der meiner Meinung nach zu Grunde liegenden Kräfteverhältnisse ist das unbrauchbar. Relevanter als jede neue musikalische Form von Experimentalität oder Hackerethos ist für mich eine subjektive Intervention in die Standards und Spezifikationen hinter dem Workflow. Diese Möglichkeit zur Intervention ist nicht auf der Ebene von musikalischem Inhalt, sprich auf der Kultur- oder Artefaktebene zu suchen, sondern in erster Linie auf der Ebene von Interfacedesign, Arbeitsergonomie und Funktionalität. Alle Updates der letzten Jahre haben generative Netzwerke oder Musik als Frequenzphänomen, als toolbox, shell oder supercollider script verhandelt; für mich ist das

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Oval Process Public Beta (Popp, Markus), 2000

Problem jedoch nicht auf der Ebene von scripting languages oder toolboxen, sondern nur durch eine Anstrengung im Bereich Design und Ergonomie zu verdeutlichen und zu lösen. Man muss sich Zugänge überlegen, um Statements auf die Ebenen von Benutzerführung, Arbeitsergonomie, Usability, Softwarefunktionalität und Interfacedesign zu verlagern.

Mit »Oval Process« stelle ich eine exemplarische Arbeitsumgebung auf Zeit zur Verfügung, lege sie offen und lade zur Evaluation dessen ein, was man sieht. Ich möchte eine kommunikative Situation zwischen Publikum und Interessenten schaffen und einen Zugang ermöglichen, der dazu auffordert, sich mit »Ovalprocess« zu beschäftigen. Dabei soll eine gewisse Kompetenz auf eine andere Ebene verlagert werden. Jeder bringt als User heutzutage einen entsprechenden Hintergrund mit, den man nicht erst technisch oder musikhistorisch herleiten muss, sondern der sich unmittelbar aus der tägliche Erfahrung bei der Arbeit mit Software ergibt. »Ovalprocess« soll dazu dienen, eigene Kriterien zu entwickeln und an die Musik zu koppeln, anstatt immernur das musikalische Resultat zu sehen. Dementsprechend ist »Ovalprocess« auch in erster Linie kein Statement, das sich im Kunst- oder Installationsbereich sieht, sondern eher ein reines Dokument der Erweiterung meiner eigenen Arbeit im Bereich von Interaktion oder Usability. Ausgangspunkt bleibt natürlich mein Status als recording artist, der auch audio only CDs macht.

Die Vorüberlegungen für »Ovalprocess« als gekoppeltes Dokument zwischen interaktiver Softwareumgebung und Soundinstallation im öffentlichen Raum sahen für mich folgendermaßen aus: Erstens habe ich kein kreatives Selbst angenommen, sondern wollte statt dessen nur generative Verfahren vorschlagen. Das bedeutete, eigene Standards und Schnittstellen zu generieren und zur Verfügung zu stellen. Außerdem wollte ich die Arbeit am Interface thematisieren: nicht die Tricks ausagieren, sondern die Bedingungen der Tricks benennen. Und, ganz wichtig, aber auch trivial, ich habe keinen Konsumenten am anderen Ende eingeplant, sondern einen aktiven User. Das ist nicht wirklich trivial, weil sich die Arbeit an einer Software fundamental von der Produktion einer

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Audio CD unterscheidet. Und zum Schluss: Ich möchte keine am Produkt orientierte, sondern eine mehr prozessuale Definition meiner eigenen Arbeit vornehmen; es geht mir nicht darum, alles in irgendeiner Form verkäuflich zu halten.

»Ovalprocess« ist also eine Skizze für eine interaktive Autorenumgebung. Das heißt, man hat eine manipulierbare, ikonische und sehr einfach zugängliche Benutzeroberfläche. Die Idee dazu ist, die tools und eine Semantik der tools vorzuschlagen und Usability und Software-Ergonomie in ein userzentriertes Modell zu kodieren. Die Arbeit am Interface ist aufgespannt zwischen einer subjektiven, ästhetischen Entscheidung und einer koordinatorischen Ausführung der implementierten Funktionen. Deshalb ist ein Statement mit Software grundsätzlich gerichtet und in den Funktionsimperativen der Software schon vorgezeichnet. Man ist zwangsläufig ein User oder Betatester der üblichen Productivitysoftware, mit der man MP3-Files speichern, kodieren, kopieren oder Tracks zusammenbauen kann. Die Autorenperspektive bleibt immer problematisch, aber wenn sie bezogen auf eine Software interaktiv gewendet wird, ist sie auchum einige entscheidende Aspekte erweitert.

Meine Musik ist ein Modell für Musik, denn sie ist nicht wirklich gemacht oder generiert, sondern aus bereits bestehender Musik zusammengesetzt; das sind Files, an denen ich zu einer bestimmten Phase gearbeitet habe, das ist ganz persönlich. Ich könnte auch jedes Mal davon eine CD pressen, aber das habe ich nicht gemacht, sondern stattdessen lieber die Leute die Musik selber machen lassen.

Als Installation beansprucht »Ovalprocess« einen Platz im öffentlichen Raum. In der Installation ist die »Ovalprocess«-Software eine Engine. Das ist ein simpler Rechner in einem Kasten, der nach bestimmten Prinzipien gebaut ist, ein Prototyp. Die Installationsobjekte mit der Software, dem Interface, der Schnittstelle, mit der Publikumssituation und dem Raumkontext, das alles möchte nicht elektronische Musik entscheidend erweitern, sondern ich versuche, meinen Ansatz zur Disposition zu stellen und zugänglich zu machen, damit man beurteilen kann, ob es überhaupt funktioniert. Das ist das wichtigste Kriterium aus Userperspektive: Darüber entscheiden zu dürfen, ob etwas funktioniert oder nicht. »Ovalprocess« ist ein

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Zwischenresultat. Nun muss man an neuen Unterscheidungen arbeiten, die man in diesen Kontext einführen und vorschlagen kann, da der Diskurs über elektronische Musik, wie ich ihn mir wünschen würde, bisher ausgeblieben ist.

Diskussion:

DD: Ich hab ein Interview gelesen, da heißt es, dass die Ovalprocess-Software nicht die gewesen ist, die Sie selber verwendet haben, um ihre Musik zu produzieren, sondern dass diese Software didaktisch zeigt, wie die Musik gemacht wird. Aber das ist nicht das Instrumentarium, mit dem Sie selber Musik produzieren. Habe ich das richtig verstanden?

MP: Die Frage, ob ich das selbst benutze oder ob jeder damit eine CD aufnehmen könnte, ist für mich irrelevant. Natürlich sind bei »Ovalprocess« die ganzen Guidelines für die sinnvolle Benutzerführung auch berücksichtigt, genauso wie diese Fragen vorher im Umgang mit der zum Entstehungszeitpunkt verfügbaren Software musikalisch gelöst wurden. Jetzt wurden diese Fragen auf der Ebene des Interfacedesigns und der User-Ergonomie einer Umgebung auf Zeit gelöst.Man kann bei »Ovalprocess« über jede Kleinigkeit detailliert reden, nicht im Sinne von Softwareinnovation oder professioneller Audiosoftware, sondern im Sinne von: Was hat man alles nicht wichtig gefunden oder was sollte da alles nicht drin sein? Das bedeutet für mich, im blinden Fleck von Usability Studies zu arbeiten und setzt auf ganz andere Ressourcen auf als eine ›richtige‹ Software. Man hat ja heute alles auf dem Rechner, um Daten mit Realtime-Charakter in musikalische Environments zu überführen. Und diese Umgebung auf dem Rechner impliziert alle programmatischen oder technischen Kriterien und die gesamten Modi der Aufführungskultur gleich mit; bis hin zu der Option, ob man das Material als Klanginstallation, Live-Konzert, Improvisation oder als sich selbst archivierendes Dokument generiert. Mit Musik hat das erschreckend wenig zu tun. Das ist diese kriterienfreie Sphäre, die bestimmte Leute als eine unglaubliche Explosion der kreativen Möglichkeiten erleben und vielleicht auch sehr lukrativ über die letzten Jahre ausgeschlachtet haben. Die entscheidende Frage ist doch, wer hört sich das an oder wem spiele ich das vor oder wer überweist mir

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dafür ein paar Cent! Das ist viel interessanter, als die Frage, was das musikalisch darstellt. »Ovalprocess« ist meine persönliche Option, die ich mir offen halten wollte, um das weniger historisch als vielmehr praktisch zu sehen, auf meinem Arbeitsablauf aufbauend, den ich bei mir selbst beobachte. Natürlich ist der auch schon vorgezeichnet: Es ist klar, dass eine Software Analogmetaphern emulgiert und diese dem User beschränkt und limitiert vorsetzt, so dass das maximale Ergebnis schon determiniert ist. Dazwischen bleibt eine geringe Varianz bestehen, die man vielleicht nach Frequenzen sortieren oder optimieren kann. Dann ist es lediglich eine Frage der persönlichen Grundhaltung, ob man sich als Künstler versteht, als Ingenieur oder als Betatester. Ich glaube, Cage konnte eher noch musikalische Grenzen sprengen und etwas Neues versuchen; heute ist eben alles schon da. Für mich ist es interessanter, eine Arbeitsumgebung, mit der ich 1994 gearbeitet habe, bis ins letzte Kontrollfeld zu simulieren und damit noch mal etwas zu probieren, anstatt immer die neueste Technik zu haben. »Ovalprocess« soll neue Kriterien bringen und die Kriterien erweitern, aber es erweitert auf keinen Fallden Bereich der Musikhistorie und schreibt bestimmt keine Geschichte und ist bestimmt schnell vergessen. Für mich war das eher eine Frage des Selbstverständnisses, wie ich mich selbst positioniere und womit ich selbst einsteige in den Diskurs. Ich glaube, »Ovalprocess« ist an Tetris viel näher dran als an Musik. Interaktive Medien und Videogames sind für mich ein wichtiger Hintergrund.

Publikumsfrage: Wo ist die Zukunft von Oval? Welche Themen gibt es in Zukunft?

MP: »Ovalprocess« schließt Oval ab, damit ist die Software ausgehändigt, damit ist das Interface Public Domain. Oval besteht als Modell für Musik, aber es besteht auch als theoretisches Modell, ohne Musik. Aber das generative Prinzip, das über Jahre hin Begriffe wie Kreativität bei mir ersetzt hat, ist damit abgegeben. Jetzt muss ich nur noch diese beiden großen Kästen aus meinem Keller in Berlin rauskriegen und dann ist »Ovalprocess« zu Ende. Man muss wissen, wann man etwas abzuschließen hat.

DD: Wie ist denn die Software publiziert worden? Auf der »Ovalprocess«-CD?

MP: Das ist noch nicht abgeschlossen, nur

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eingefroren. Die Software soll vielleicht auch auf eine Audio-CD. Die Audio CDs stellen Etappen dar und sind immer anders aufgebaut; zu hören ist die Musik, die zu diesem Zeitpunkt auf den Objekten lief. Die reine Software CD steht noch aus.

DD: In den Statements, die ich gelesen habe, schwingt ein Moment von Kritik an den ökonomischen Bedingungen von Kultur mit. Sind für jemanden, der Objekte im Museum stehen hat und Audio-CDs produziert, die ökonomischen Zwänge in den Bereichen bildende Kunst und Musik verschieden? Sind die Erwartungen und die Limits, an die man stößt, andere? MP: Schwer zu sagen. Ich habe lange Zeit gehofft, dass mich SEGA da heraus kauft und ich nur noch kleine Sounds für Videogames mache und dabei an jedem Sound lange arbeiten kann – die Möglichkeiten sind da, und wenn man sich beeilt, kann man vielleicht auch davon leben. Aber darum geht es gar nicht mehr, sondern eher darum, dass Userinterfaces bestimmte Arbeitsverhältnisse suggerieren und diese wiederum Arbeitsvorgänge determinieren. Ich kann an dieser Optimierungslogik keine grundsätzliche Kritik formulieren; es wäre völligunsinnig, ökonomisch und funktionell nicht funktionierende Software zu programmieren. Deshalb sollte man in so einem Bereich Sabotagegedanken schnell vergessen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man selbst auf dem Gipfel der Zweckentfremdung das Interface optimiert. Jedes Statement bleibt in der Logik des Optimierens und wird nur durch einen anderen Entertainment-Charakter dargestellt. Da war es interessanter, bestimmte Prozesse einfach still zu stellen und zu verlangsamen, so dass nur noch eine kleine Struktur oder Oberfläche auf Zeit übrig bleibt.

Dadurch, dass Musik in Software verhandelt wird und durch die Simulation von Software hervorgegangen ist, sollte sie zumindest teilweise unter Softwarekriterien bewertet werden. Im uninteressanten Fall sind das Arbeitsumgebungen, die timebased verfahren, das heißt von links nach rechts, mit möglichst vielen Musikmetaphern aus der analogen Welt, oder es sind generative Netzwerke oder Toolboxen – aber eines ist klar: es ist simulierte Musik und die überhaupt zu fassen und das nicht nur den Programmierern zu überlassen, das ist für mich eine Aufgabe gewesen.

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