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Ästhetik und kommunikativer Kontext
Claudia Giannetti
 

Kommunikation, Interaktion und Systeme

Die Idee einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Organisationssystemen formuliert erstmals zu Beginn des 20. Jahrhunderts der russische Forscher Alexander Bogdanov. [1] Seine Systemtheorie, die alle organisatorischen Elemente in ihrer Gesamtheit zu erfassen versucht, führt die grundlegenden Konzepte vom offenen System (mit Bezug auf lebende Systeme) und von der Rückkopplung ein, womit er zu einem Vorläufer der Kybernetik und der systemischen Theorien wird, die zwei Jahrzehnte nach ihm Ludwig von Bertalanffy entwickelt. [2]

Der erste umfassende Beitrag zum Verständnis und zur Verbreitung der Theorie der Selbstorganisation ist den Forschungen des Physikers und Kybernetikers Heinz von Foerster zu verdanken, denen er sich ab Ende der 1950er Jahre und vor allem nach der Publikation seiner Schrift »On Self-Organizing Systems and their Environment« von 1960 widmet. Heinz von Foerster ist sowohl mit der Kybernetik und Informationstheorie als auch mit den Grundlagen der Künstlichen Intelligenz (A. Turing und J. von Neumann) und der Systemtheorie (P. Weiss und L. von Bertalanffy)gut vertraut. Von diesen Theorien ausgehend, schlägt er vor, Konzepte wie die der Redundanz, Entropie oder Information (Kybernetik) sowie die der Selbstregulation, Autonomie und hierarchischen Ordnung (Systemtheorie) auf die Untersuchung der Organisation anzuwenden. Nach von Foerster existiert jedes System autonom — gemäß seinen eigenen Gesetzen — und ist organisatorisch in sich geschlossen; das bedeutet, seine Organisation ist selbstreferentiell, selbsterhaltend und rekursiv. Auch ist die Realität als interaktives Konstrukt zu verstehen, in dem der Betrachter und das Betrachtete zwei voneinander abhängige Teilaspekte darstellen. Folglich existiert Objektivität lediglich als Illusion des Subjekts, eine Wahrnehmung könnte auch unabhängig von ihm existieren. Dies impliziert, dass Wahrnehmung mittels einer Verknüpfung von Beobachter und Systemeinheit erfolgt, und zwar in dem Bereich, in dem diese Einheit operiert.

In den 1970er und 1980er Jahren werden die Grundbegriffe der Systemforschung, die sich auf Interaktion, Selbstorganisation, Ko-Evolution oder Umwelt beziehen, von einer Reihe von Wissenschaftlern

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weiterentwickelt und in neuen Theorien umgesetzt. [3] Einen wichtigen Impuls erhält die Systemtheorie durch die Theorie der ›Autopoiese‹ [4] , die der chilenische Biologe Humberto Maturana gemeinsam mit dem Neurowissenschaftler Francisco J. Varela ab den 1970er Jahren entwickelt. Erstmals verknüpft diese Theorie zwei Bereiche, die bislang nur unabhängig voneinander untersucht wurden: die Biologie beziehungsweise die Theorie der Organisation von Lebewesen und die Erkenntnistheorie, deren besonderes Augenmerk dem Problem der Kognition und Wahrnehmung von Phänomenen gilt. 1969 stellt Maturana die These auf, wonach das Nervensystem ein geschlossenes System [5] ist.

Lebende Systeme sind demnach autopoietische Systeme [6] . Ein autopoietisches System operiert als geschlossenes System, das nur Zustände der Autopoiese erzeugt. Die wichtigste Folge einer autopoietischen Organisation besteht darin, dass alles, was im System stattfindet, sich der Autopoiese unterordnet, anderenfalls würde das lebende System zerfallen; denn sowohl Zustandsveränderungen des Organismus und des Nervensystems als auch desMediums agieren reziprok und bewirken so eine kontinuierliche Autopoiese. Das bedeutet, dass lebende Systeme durch ihre Struktur determiniert sind (›strukturspezifiziert‹) und die Autopoiese ihr konstitutives Merkmal darstellt. Die Ausweitung der Erkenntnisprozesse (Aktion und Interaktion) durch das Nervensystem ermöglicht, so Maturana, in einfachen Beziehungen nicht-physische Interaktionen zwischen Organismen — und somit Kommunikation. [7]

Diese nicht-physischen Interaktionen unterscheiden Menschen von Organismen, die über kein Nervensystem verfügen und bei denen die Interaktionen rein physischer Art sind (wie zum Beispiel bei einer Pflanze, wo die Aufnahme eines Photons die Photosynthese auslöst). Kommunikation als Interaktion ist Bestandteil des Systems und bezieht sich als Erkenntnisprozess nicht auf eine unabhängige externe Realität, sondern ist — laut Maturana — ein Prozess der Verhaltenskoordination zwischen den Beobachtern durch strukturelle Koppelung. So ist der kognitive Bereich durch Konsens charakterisiert, der es erlaubt, in vielen verschiedenen Kognitionsbereichen zu operieren, die unterschiedliche Verwirklichungsarten

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Autopoiesis (Rinaldo, Ken), 2000

der Autopoiese konstituieren. [8]

Spricht man von einer ›Welt‹ oder von ›unserer Kultur‹, so scheint es, als würde sich dies auf etwas Externes, vom Menschen Unabhängiges oder auf ›eine‹ objektive Realität beziehen. Entgegen dieser Auffassung vertritt die konstruktivistische Theorie die Ansicht, dass ein Organismus seine Welt aufgrund seiner physiologischen und funktionalen Beschaffenheit erzeugt. Wie Maturana kurz zusammenfasst: wir erschaffen die Welt, indem wir sie wahrnehmen.

Aus systemtheoretischer Sicht lassen sich demnach drei grundlegende Schlussfolgerungen formulieren. Die Erkenntnisphänomene, einschließlich Sprache und Kommunikation, dürfen nicht einer konnotativen oder denotativen Funktion von Realität zugeordnet werden, die vom Betrachter unabhängig ist; zweitens ist das, was Kulturen hervorbringen, das Ergebnis von Interaktionen zwischen Menschen sowie zwischen ihnen und ihrer spezifischen Umwelt (oder ihrer ›Nische‹, wie Maturana sie nennt); und drittens entstehen weder Kulturen noch die Resultate kreativer Operationen, wie die Kunst, als ›unabhängige‹ Merkmale oder objektive und autonome Realitäten,sondern sind immer vom Beobachter, das heißt vom kognitiven System, abhängig. Sie sind deshalb Merkmale des konsensuellen Bereichs, in dem Menschen operieren. Kontext- und Beobachterabhängigkeit können menschlicher Wahrnehmung und Erkenntnis überhaupt erst die Operationalität des Erkennens erklären. [9] Wenn diese Erkenntnis auf die Kunst übertragen wird, dann könnte man also mit Werner Heisenberg sagen, dass das, was man betrachtet, nicht das Werk selbst ist, sondern das Werk, das der jeweiligen Betrachtungsweise ausgesetzt ist.16

Ein Beispiel für die Anwendung von Parametern der Organisation in interaktiver Kunst ist Ken Rinaldos A-life-Installation »Autopoiesis« (2000), in welcher der Umgebung und den Beobachtern eine wichtige Rolle zukommt, denn sie greifen in das individuelle beziehungsweise kollektive Verhalten der Roboter ein, als ob es sich bei diesen um biologische Wesen handle. In dieser interaktiven Installation schafft Rinaldo zwei Organisationsstufen: einen internen Organisationsprozess, der durch die kommunikative Wechselbeziehung zwischen den Robotern generiert wird und von der Umwelt abhängig ist; und ein

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Organisationssystem, das auf den angewandten intelligenten Sensoren beruht und die Datenverarbeitungskapazität potenziert: es erfasst die Präsenz von Fremdelementen und generiert ein sofortiges Feedback. So experimentiert das Werk mittels der technologischen Simulation von künstlichem Leben mit ›organischen‹ Mechanismen der Autopoiese und betont die wechselseitige Abhängigkeit der Maschinen, die Funktion des Betrachters sowie die enge Beziehung zur Umwelt.

Das Modell der Autopoiese von Maturana und Varela regt sowohl Kontroversen als auch neue Formen der Auseinandersetzung mit Problemstellungen der kognitiven Forschung an. So liefert es zusammen mit den Beiträgen von Heinz von Foerster und im Bereich der kognitiven Psychologie von Ernst von Glasersfeld Denkanstöße für eine neue Strömung, die als Konstruktivismus beziehungsweise radikaler Konstruktivismus bekannt ist. Entscheidend ist diese Denkweise insofern, als sie jegliche Möglichkeit negiert, Systeme mittels analytischer und reduktionistischer Methoden verstehen zu können, da sie das Prinzip der Selbstorganisation als grundlegendanerkennt. Der Mensch ist Teil einer von ihm konstruierten Welt und sein Leben hängt von den Interaktionen ab, die dieses Verbundsystem oder Netzwerk formen.

Es sollen hier jedoch Tendenzen einer orthodox-konstruktivistischen Grundhaltung vermieden werden. Denn die Gefahr bei Untersuchungen, die sich auf interne und autopoietische Prozesse neuronaler Organisation konzentrieren, besteht zum größten Teil darin, dass ihre Modellkonzeption sich auf einen geschlossenen Apparat bezieht, der das Äußere nicht kennt. Das Gehirn kann als ein operationelles, selbstreferentielles System im Sinne eines rein internen Funktionierens aufgefasst werden; jedoch stehen im kognitiven System Inneres und Äußeres (Umwelt) in einer Wechselbeziehung. Die Aneignung von Wissen, Bildung und Kultur ist von individuellen Lebenserfahrungen abhängig. Selbstreferenzialität bedeutet nicht Isoliertheit, da die Systeme von außen beeinflussbar sind, auch wenn die Art und Weise dieser Beeinflussung durch ihre funktionale Organisation festgelegt wird. [10] Für die Wahrnehmung und Konstruktion von Wirklichkeit sind andere Prozesse

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unabdingbar, die ein Modell des eigenen Körpers (des Ich) hervorbringen, ein räumlich-zeitliches Modell sowie ein Modell des Orts im Zeit-Raum. Die Wichtigkeit des limbischen Systems — der emotionalen und intentionalen Komponenten — für die Gehirntätigkeit macht deutlich, dass das Verständnis und die Interpretation der Wirklichkeit nicht ausschließlich das Ergebnis neuronaler Prozesse sind.

Was als Wirklichkeit erlebt wird, ist sozial bedingt, denn seine Konstruktion beruht auf Interaktion mit anderen Personen, auf Konsensbereichen, auf Sprache und Kultur. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Erkenntnis ein kreativer Prozess ist, der sowohl von Kognition als auch von interpersonalen Beziehungen und Interaktionen mit der Umwelt abhängt; so gründet sich die Gesamtheit des Wissens, der Kultur und Kunst auf Konsens, Interaktionen und Vernetzung von Individuen, die die Gesellschaft bilden.

Medienkunst als interkommunikativer Prozess

Albert Einstein formuliert einmal, dass wissenschaftliche Theorien freie Kreationen des menschlichen Geistes seien und er es als dasWunderbarste erachte, sie trotzdem dazu verwenden zu können, die Welt zu erklären. Dasselbe ließe sich über Kunst sagen. Als freie Kreation des menschlichen Geistes erklärt sie nicht eine unabhängige Welt; vielmehr setzt sie sich mit der Erfahrung des Subjekts in seiner Welt auseinander und bietet verschiedene Erklärungsmodelle für einen Kontext, an dem Beobachter und Werk teilhaben.

Vilém Flussers These besagt, die Funktion von Kunst sei es, andere Welten zu schaffen und den Zugang zu anderen Wirklichkeiten zu ermöglichen. Wer ein Kunstwerk produziert, bringt damit nicht nur einen Teil seiner selbst beziehungsweise seiner Umwelt zum Ausdruck, sondern bewirkt durch das Werk einen Dialog mit anderen Beobachtern und eine Projektion anderer Wirklichkeiten. Indem sich Kunst diesem Prozess verschreibt, wird die Weltveränderung, die Erweiterung der menschlichen Wirklichkeiten (Kenntnisse, Erfahrungen, Empfindungen oder Wahrnehmungen) zu ihrem Anliegen.

Aus dieser Sicht basiert jede Wirklichkeit auf Erfahrungen und Handlungen sowohl des Schaffenden als auch des Betrachters und ist somit ein Argument

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einer (möglichen) Erklärung. Der dialogische Prozess als Operation im konsensuellen Bereich kann diesen ausweiten und zur Entstehung neuer Konsensbereiche beitragen. Dies führt zu einer Erweiterung von Erfahrungen, Wissen und Argumenten, was zu einer Änderung des Erkenntnishorizontes hinsichtlich der Wirklichkeitsbetrachtung führen kann. Kunst als Kommunikationsform ist demnach dem Bereich der Kognition zuzurechnen, die die Voraussetzungen für Kommunikation schafft. »Denken, Wissenschaft, Kunst sind selbstreferentielle kognitive Prozesse, aber sie sind nicht selbsterhaltend: sie bedürfen der physikalisch-chemischen Existenz von Organismen, die Kognition und damit Denken, Wissenschaft, Kunst hervorbringen. Während autopoietische Systeme stets nur in dem physikalisch-chemischen Rahmen Selbsterhaltung betreiben können, den ihnen die Umwelt vorgibt, sind kognitive Prozesse von diesen Restriktionen frei und gehorchen nur internen Gesetzen und Zwängen.« [11]

Ist bezüglich der Kunst also von Kognition die Rede, so ist damit nicht ein Zugang zu ihren möglichen Inhalten allein über den Weg der Vernunft gemeint;vielmehr soll damit betont werden, dass das Mitwirken von Emotionen und sinnlichen Erfahrungen am Prozess der Assimilierung eines Kunstwerks untrennbarer Teil des dialogischen Prozesses ist.

Somit lassen sich zusammenfassend zwei Hypothesen aufstellen: zum einen, da Erklärungen von Kunst weder konstitutiv noch reduktionistisch noch transzendental sind, handelt es sich in keiner Weise um die Suche nach einer einzigen und definitiven Erklärung für den Kunstbereich. Zum anderen besteht die Funktion der Kunst in der Weltveränderung, wobei darunter die Ausweitungen von menschlichen Wirklichkeit(en) und Kognitionsbereichen zu verstehen sind und folglich auch der Kenntnisse und Erfahrungen, die sich aus möglichen Interaktionen und dem dialogischen Austausch im Erklärungskontext der kognitiven Welten ergeben. Daraus resultiert die Frage, wie Kunst den kommunikativen Prozess ausführen kann.

Die enger an die Kommunikationswissenschaft angelehnte Richtung der Ästhetik untersucht soziale Prozesse, die im Rahmen von Kommunikation expressive Formen sowie Phänomene ästhetischen Ausdrucks entfalten, die kommunikative Funktionen erfüllen

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(Kommunikationsmedien, Veranstaltungen oder soziale Zeremonien). Im Bereich der Kunst lassen sich verschiedene Vorgehensweisen unterscheiden, mit denen die Problematik der Kommunikation angegangen wird: durch die Untersuchung der Rolle des Betrachters im Werkkontext, die Analyse der Rezeption oder unter soziologischen Gesichtspunkten, die sich mit dem Einfluss der Kunst auf Betrachter, Gesellschaft oder Kultur beschäftigen, wie es beispielsweise Fred Forest und die ›Kommunikationsästhetik‹ vorschlagen.

Da Kunst sich im Kommunikationsprozess einer mehrheitlich metaphorischen, symbolischen und nicht-trivialen Sprache bedient, ist sie ein besonders komplexer soziokultureller Bereich. Wenn es viele Realitätsbereiche gibt und alle gleichermaßen gültig sind, können die Kunstästhetiken keinen Anspruch auf universelle Akzeptanz erheben; auch können sie nicht als dem Objekt inhärent betrachtet werden. Von daher liegen Sinn und Bedeutung nicht im Kunstwerk selbst und können nicht durch dieses an den Beobachter vermittelt werden, mit der Erwartung, dass er es adäquat interpretiert. Bedeutungen in der Kunst sind zeitgebundene, kulturspezifische,beobachterabhängige kognitive Prozesse, was heißt, dass Kunstwerke nicht für sich selbst sprechen können. In der Tat sollten Kunstwerke den Beobachter dazu einladen, sich in seinen Wirklichkeitsbereich zu begeben und sich für seine Weltsicht zu interessieren. Wird ein Beobachter oder eine Gruppe durch ein Kunstwerk zu neuen Konsensbereichen und somit auch zu neuen Kognitionen geführt, dann ist nicht nur der schöpferische Akt gelungen, sondern auch die Kommunikation: die Ausweitung der Weltsicht auf diese Gemeinschaft. Obwohl Kunstwerke und Kommunikation getrennte Bereiche sind, können ohne Kommunikation weder Kunstwerke noch Kunstsysteme existieren, so wenig wie ohne Kunst Kunst-Kommunikation möglich ist; Kunstwerke dienen infolgedessen der Kopplung von Kognition und Kommunikation. [12] Hiermit wird eine neue, vom kybernetischen Modell abweichende, theoretische Position vertreten. Kommunikation wird nicht mehr als Informationsübertragung verstanden und auch nicht als Wissensübertragung von einem System auf ein anderes. Das informationstechnische Prinzip von Kommunikation wird durch das Modell des Konstruktionsprozesses innerhalb der kognitiven

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Systeme und zwischen Systemen ersetzt. [13] Diese prozessorientierte Perspektive ist beobachterabhängig, das heißt, jeder Beobachter oder jede Beobachtergemeinschaft konstituiert als Teil eines Netzwerkes sozialer Systeme diese selbst mit, unter anderen eben auch Kunstsysteme. Dabei handelt es sich um eine Umorientierung von Informationsobjektivität auf intersubjektive Interaktivität.

Als eine der Konsequenzen folgt, dass Kunst zu einer Art »Katalysator kultureller Reflexion der Gesellschaft« wird. [14] So können Vorschläge, die für die Existenz eines auf Konsens beruhenden Erkenntnisbereichs eine Bedrohung darstellen, in der kulturellen Gemeinschaft auf starke emotionale Ablehnung stoßen. Die Kunst des 20. Jahrhunderts zeigt hingegen unzählige Beispiele, denen es mit absichtsvoller Polemik gelang, Kognitionsbereiche auszuweiten, indem sie die Institution ›Kunst‹ zur Selbstkritik zwangen.

Die Bedeutung von Kunst und ihrer Ästhetik ist in der Funktion zu suchen, die sie in den jeweiligen Beobachtergemeinschaften ausübt, sowie in ihrerFähigkeit, mittels einer eigenen Sprache einen emotionalen und konzeptuellen Dialog mit dem Beobachter und der Gemeinschaft zu bewirken.

Interaktivität: die Frage der Schnittstelle

Ähnlich den Medien, die der Mensch zur Kommunikation benötigt, ermöglichen technische Schnittstellen die Verkopplung unterschiedlicher Systeme. Es geht in diesem Prozess darum, raum-zeitliche Distanzen zu verringern sowie die Reaktionszeit und Flexibilität der Verbindung zu optimieren. Daraus ergibt sich eine Neubestimmung der von beiden Systemen — Subjekt und Maschine — eingenommenen Positionen, die in den Kommunikationsprozess einwirken: Einerseits ist das Subjekt nicht mehr nur ein Operateur, der ein Werkzeug kontrolliert, und andererseits erfährt die Maschine hinsichtlich der Unabhängigkeit ihres Funktionierens einen stetigen Zuwachs, mit anderen Worten, sie ist kein ›einfaches‹ Werkzeug im traditionellen Sinne mehr.

Diese allmähliche Angleichung von Position und Gewichtung im Mensch-Maschine

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Kommunikationsprozess [15] zeigt sich deutlich im »Schnittstellenmodell« von William Bricken. [16] Mit diesem Modell versucht er, den Abstand zwischen den Systemen (A) und (B) zu minimieren und zugleich die wechselseitige Einflussnahme der Interaktionsprozesse auf die Agenten aufzuzeigen. Dies bedeutet, dass jede Informationsübertragung den Zustand der gekoppelten Systeme beeinflusst und definiert. Im »Schnittstellenmodell 4« führt Bricken einen weiteren Faktor ein: den Kontext. Die Schnittstellengrenze repräsentiert nach Bricken die Kenntnis der Interaktionsumgebung von Seiten der interagierenden Agenten. Mit der Einführung des Parameters Kontext in den Interaktionsprozess wird dieser zugleich zum beeinflussenden Faktor im Kommunikationsprozess. In dem Maße, wie zwei Systeme sich den gleichen Kontext teilen, ist dieser Bestandteil ihrer Interaktion, kann aber während des Prozesses verändert werden.

Kontext und Umwelt

Bezüglich der Faktoren Kontext/Umwelt sei an die Position Niklas Luhmanns erinnert. Die Systemtheorie gab die Idee einer aus Teilen konstituierten Totalitätauf, um den expliziten Bezug auf die Umwelt einzuführen. Luhmann geht einen Schritt weiter, indem er die Strukturen und Prozesse eines Systems von ihren Beziehungen zu einer bestimmten Umwelt abhängig macht, was besagt, dass sie nur in Bezug auf diese verständlich seien. Diese gegenseitige Abhängigkeit legt dar, dass man ein interaktives System nicht in isolierter Form entwerfen oder schaffen kann, da es sich a posteriori als abgeschlossenes Element an eine beliebige Umgebung anpassen würde. »Interaktionssysteme bilden sich, wenn die Anwesenheit von Menschen benutzt wird, um das Problem der doppelten Kontingenz durch Kommunikation zu lösen. Anwesenheit bringt Wahrnehmbarkeit mit sich und insofern strukturelle Kopplung an kommunikativ nicht kontrollierbare Bewusstseinsprozesse.« [17]

Seiner Ansicht nach ist Kommunikation im wirklichen Leben eine umweltangepasste Operation. Diese Anpassung ist aber von der Erkenntnis her nicht vollständig kontrollierbar, oder anders ausgedrückt, keine Kommunikation ist in der Lage, jeden einzelnen

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Schritt des Prozesses zu überprüfen.

Parallel zu Kontext/Umwelt ist Zeit ein anderer Bezugspunkt von Bedeutung, sowohl aus der Sicht der Optimierung von Interaktion und Rekursivität als auch im Blick auf die Reaktionszeiten zwischen beiden Systemen. Das Bestreben, den Interaktionsprozess und die Reaktionszeiten zwischen Mensch und Maschine zu optimieren, führte zur Erweiterung der Visualisierung und sinnlichen Wahrnehmung von computerverarbeiteter Information. Übersetzung Eine weitere, entscheidende Frage richtet sich schließlich auf den Begriff der Übersetzung. Bereits Abraham A. Moles thematisiert ›Übersetzung‹ [18] als einen der Hauptfaktoren in der Mensch-Maschine-Beziehung. Aus technischer Sicht übernimmt die Schnittstelle die Aufgabe, Information zwischen den miteinander verkoppelten Systemen zu übersetzen und zu übermitteln. Wie Halbach hervorhebt, liegt gerade im Begriff der ›Übersetzung‹ das Problem, denn sie verbindet nicht nur verschiedene Ein- und Ausgangskanäle miteinander, sondern sie reguliert und vermittelt auch verschiedene Kodierungsverfahren. »Wenn es um Interfaces derMensch-Maschine-Interaktion geht, können (a) weder Ein- und Ausgangskanäle aneinander angepasst werden, da der Mensch als autopoietisches System über diese ja gerade nicht verfügt, und (b) kann auch von einer Übersetzung der Kodierungsverfahren nicht gesprochen werden, da die subsymbolischen Repräsentationsformen des menschlichen Nervensystems (noch) nicht entschlüsselt sind.« [19] Interaktion, die auf einer Mensch-Maschine-Schnittstelle beruht, markiert durch den Einsatz technischer Medien eine qualitative Erweiterung der Kommunikationsformen, die sich vielfach auswirkt: in der Neubestimmung des Zeitfaktors (Echtzeit, simulierte Zeit, hybride Zeit); in der Emphase intuitiver Partizipation über Visualisierung und sensorische Wahrnehmung von digitaler Information; in der Erzeugung von immersiven und translokalen Phänomenen; in der Notwendigkeit der Übersetzung von Kodierungsverfahren. Zugleich bezeugt sie auch den Wandel der logozentrisch narrativen Strukturen und einer auf Schrift gründenden hin zu einer ›digitalen‹ Kultur, die sich visuell, sensorisch, retroaktiv, nicht-linear und virtuell

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orientiert.

Kontrolle

Im Abschnitt »Die Revolution der Regelungstechnik« in »Kunst, Wissenschaft und Technik« werden die Folgen der ›Revolution der Regelungstechnik‹ für die Entwicklung der Rückkopplungstechnologien und der Mensch-Maschine-Kommunikation analysiert. Im Falle der digitalen Technologien kann man von einer zweiten Revolution der Kontrolle sprechen, die nicht mehr nur Techniken betrifft, die direkt mit realen Objekten oder Materialien verbunden sind, sondern auch jene Systeme, die sich auf Parametern der Virtualität gründen (Künstlichkeit, Immaterialität). Interaktive Computerdispositive und Schnittstellen fungieren als Kontrollmechanismen, die die Äquivalenz der Kommunikation aufrechterhalten. Somit zählt die — bewusste oder unbewusste — Kontrolle zu einer der relevantesten Forschungsaufgaben im Bereich interaktiver Systeme. Heutige Systeme vermitteln dem User Eindrücke oder Empfindungen, die nur zum Teil auf seine eigenen sensorischen oder motorischen Aktivitäten zurückzuführen sind, da die Möglichkeitender Interaktion und der Generierung von Outputs (zum Beispiel bewegte, dreidimensionale Bilder oder Sound) vom jeweiligen Programm bestimmt werden, das das Handlungsfeld des Users konstituiert. In dem Maße, wie der User in der simulierten Umgebung die kognitiven Prozesse der interaktiven Kommunikation nicht vollständig kontrollieren kann, muss ein Teil der Kontrolle notwendigerweise vom System selbst ausgeübt werden.

Modelle interaktiver Systeme

Die Beobachterhandlungen üben somit eine grundlegende und komplementäre Funktion im interaktiven System aus. Die daraus resultierende Notwendigkeit zur Synchronizität der Mensch-Maschine-Reaktionen und der Interdependenz vom Kontext des Subjektes und dem der Systemumgebung führen zur Frage nach den unterschiedlichen Typologien interaktiver Systeme und deren Strategien.

Verschiedene Medienkunstarbeiten, die reaktive Systeme und digitale Bilder einsetzen, erforschen direkt oder indirekt die möglichen Veränderungen

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anhand von Datenmanipulation, die der Beobachter über Schnittstellen im Werk veranlassen kann. Anhand der mediengestützten Interaktivitätsformen lassen sich in groben Zügen drei Modelle interaktiver Systeme unterscheiden: [20]

— Diskrete oder aktive Systeme: obwohl der Benutzer Kontrolle darüber ausüben kann, wann und in welcher Reihenfolge er die Inhalte abruft, hat er keinen Einfluss auf die ausgesendeten Informationen, da diese integriert verwaltet werden und vorhersehbares Verhalten zeigen;

— Reaktive Systeme: das mediengestützte, auf Rückkopplungsstrukturen basierende Werkverhalten resultiert aus der direkten Reaktion auf äußere Reize, wie zum Beispiel Benutzersteuerung oder geänderte Umgebungsbedingungen. Auswahlmethoden und rekursive Ereignisse verschaffen dem partizipativen Benutzer kognitive Situationen;

— Interaktive Systeme: offene Programmstrukturierung, über die der Empfänger auch als Sender agieren kann. Da der Benutzer den Ablauf und das Erscheinungsbild des Werkes beeinflussen oder in komplexeren Systemen auch neue Informationhinzufügen kann, handelt es sich um eine inhaltliche Interaktivität. Es werden zeitliche, räumliche oder inhaltliche Beziehungen zwischen Interaktor und Werk hergestellt.

Bezüglich der technischen Spezifität unterscheidet Heinz von Foerster zwischen trivialen und nicht-trivialen Maschinen. Die trivialen sind kausal beschreibbar und vorhersagbar und nur in nicht-physischen Bereichen wie der Mathematik denkbar. Maschinen im physischen Raum sind immer nicht-trivial, da dieser entropischen Prozessen unterworfen ist. Man kann zwischen zwei Typen nicht-trivialer Maschinen unterscheiden: denjenigen, die sich in ihrem Verhalten den trivialen anzugleichen suchen, und jenen, die sich nicht-trivial verhalten. Bei den ersten handelt es sich um zweckorientierte Maschinen, bei den zweiten um solche, die potentiell für Interaktivität geeignet sind. [21]

Nach Peter Weibel kann Interaktivität unter den Gesichtspunkten von Verhalten und Bewusstsein durch drei Modelle unterschieden werden: synästhetische Interaktivität, die aus Interaktivität zwischen verschiedenen Materialien und Elementen besteht, wie

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Cartesianisches Chaos (Weibel, Peter), 1992

etwa Bild und Ton, Farbe und Musik; synergetische Interaktivität, die sich zwischen Energiezuständen abspielt, wie in Werken, die auf Veränderungen in der Umgebung reagieren; kommunikative oder kinetische Interaktivität zwischen verschiedenen Personen und zwischen Personen und Objekten.

In allen Fällen sind Umgebung oder Kontext von entscheidender Bedeutung für die Mensch-Maschine-Performance. Wie bereits dargelegt, bedeutet die Integration des Kontextes in den Interaktivitätsprozess dessen Anerkennung als konditionierenden Faktor im Kommunikationsprozess. Über die Abhängigkeitsbeziehung zwischen Beobachter und Kontext in einem simulierten Raum reflektiert Peter Weibel 1992 in der interaktiven Installation »Cartesianisches Chaos«.

Kunst/System

Interaktivität in der Kunst setzt sich also, wie Peter Weibel vorschlägt, aus drei digitalen Kennzeichen zusammen: Virtualität, Variabilität und Viabilität. [22] Andererseits bezeugt die Mensch-Maschine-Schnittstelle die Transformationjener auf narrativ logozentrischen und sequenziellen Strukturen basierenden Kultur hin zu einer ›digitalen‹ Kultur, die visuell, sinnlich, retroaktiv und nicht-linear (hypertextuell) orientiert ist. Hierin erweist sich die besondere Potentialität digitaler Technologie (einschließlich der telematischen) zur Überwindung der Grenzen des rein Instrumentellen, um sich in ein Imaginationsmedium zu verwandeln und so kognitiv wie sinnlich erfahrbare (virtuelle) Umgebungen zu erzeugen.

Anhand all dieser mit der Medienkunst und insbesondere der interaktiven Kunst verbundenen Faktoren lässt sich der entscheidende Prozess einer klaren Bedeutungsverschiebung der ›Kunst‹ hin zum ›System‹ [23] erkennen (ohne Anspruch, einfach einen Terminus durch den anderen ersetzen zu wollen).

Die Analyse von interaktiven Systemen führt zu dem Schluss, dass das Interesse nicht länger in der Erstellung eines Kunstwerkes liegt, das durch Reproduktion oder Interpretation von Sichtweisen über die Bilder der Welt reflektiert, sondern dass das Kunstwerk als ›System‹ die Welt selbst — die Wirklichkeiten, die Kontexte, das Leben, das

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biologische System Mensch — zu hinterfragen versucht. Es ist ein System, das neue ›Weltsichten‹ eröffnet. Der zeitgenössischen Kunstkreation, die auf prozesshaften Methoden und systemischen Modellen beruht, kommt — entgegen den Postulaten vom Funktionsverlust der Kunst in der Welt von heute — eine neue Bedeutung im soziokulturellen Kontext zu. Auch geht mit der Idiosynkrasie des Prozesses sowie dem interaktiven und systemischen Werkcharakter notwendigerweise eine Transformation ästhetischer Paradigmen einher.

Die systemischen, auf dem Einsatz interaktiver Technologien beruhenden Praktiken verlangen nach einer ihren Methoden adäquaten ästhetischen Theorie. Die eng an den Konstruktivismus gebundene Endophysik bietet hierbei ideale Grundlagen für Ideen, die Vorschläge zur »Endoästhetik« [24] anregen. Sie gilt als geeignete Theorie, die unterschiedlichen Erscheinungsformen interaktiver und künstlicher Systeme zu erfassen.

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