Hinweis: Wenn Sie diesen Text sehen, benutzen Sie einen Browser, der nicht die gängigen Web-Standards unterstützt. Deshalb wird das Design von Medien Kunst Netz nicht korrekt dargestellt. Die Inhalte selbst sind dennoch abrufbar. Für größtmöglichen Komfort und volle Funktionalität verwenden Sie bitte die empfohlenen Browser.

ThemenKunst und KinematografieDouglas
Le Détroit. Eine an Grauwerten reiche Erfahrung
Frank Wagner

http://www.mediaartnet.org/themen/kunst_und_kinematografie/douglas/

Die filmische Installation »Le Détroit« des kanadischen Künstlers Stan Douglas erzählt eine kurze Geschichte vom Eindringen einer Frau in ein verlassenes Haus, dessen ehemalige Bewohner den merkwürdigsten Hausrat und Plunder zurückgelassen haben. Aber die Story entpuppt sich als zwanghafter Akt, dessen immerwährende Wiederholungen in trübe Schichtungen von Grautönen getaucht sind, als wären sie das Abbild einer reinen Schattenwelt. Ach, könnte man doch mehr erkennen.

Der Zwang zur Wiederholung

Es ist Nacht. Eleanore, so nennt Stan Douglas die schwarze Protagonistin, schaltet den Motor ihres Wagens ab, steigt aus und platziert einen Strahler auf den Kühler ihres Chevrolet Caprice, so dass ein bestimmtes Fenster in einer Hausfassade beleuchtet wird. Auch die Autoscheinwerfer bleiben angeschaltet und erhellen die unwirtliche nächtliche Szenerie. Eleanore geht langsam auf die offensichtlich verlassene Hausruine zu, deren Fenster herausgerissen und deren Wände im Innern durchbrochen sind. Beim Eintreten stößt sie auf einen Fußabdruck, den sie begutachtetund vorsichtig auswischt. Sie geht vorbei an Anhäufungen von Sperrmüll und aufgestapelten Möbeln im Kolonialstil, steigt durch ein Loch in einer Wand, läuft durch einen engen Flur, durchquert ein Zimmer mit einem Sofa, auf dem eine Decke liegt, und einem Schrank, in dem frische Kleider hängen. Eine Flüssigkeit tropft in ein bereitgestelltes Gefäß. In diesem Zimmer schließt sie die Kleiderschranktür. Sie durchquert einen zweiten Raum, der sich wie ein intaktes Büro mit Schreibtisch, dazugehörigem Stuhl und Sekretär präsentiert. Dort hebt sie ein Schriftstück vom Boden auf und legt es ab. Sie steigt über eine Treppe ins Obergeschoß und macht sich in einem Zimmer an einem Loch in der Wand zu schaffen. Der Zuschauer sieht, dass sich in der Wand etwas versteckt befindet, was Eleanore vergeblich zu erreichen sucht. Das Licht verändert sich. Eleanore sieht auf und bemerkt beim Blick aus dem Fenster, dass die Zusatzleuchte auf dem Auto verloschen ist. Wieder macht sie sich an der Wand zu schaffen und wird erneut durch ein Geräusch aufgeschreckt. Sie geht zum Fenster und schaut hinaus auf das Laub am Boden. Es ist windstill. Durch das plötzliche Zuschlagen einer Tür wird die Frau ein drittes Mal gestört. Als sie auf die Büsche vorm Haus schaute, war kein Wind zu spüren. Hastig verläßt sie das Haus. Auf ihrem Weg nach draußen verursacht sie selbst einen Luftzug, der die Schranktür wieder aufspringen und das Blatt Papier zu Boden gleiten läßt. Kurz vor dem Ausgang wird sie einen Fußabdruck hinterlassen. Sie geht zum Auto, nimmt den Scheinwerfer vom Kühler, setzt sich in den Wagen, läßt den Motor an und überlegt. Sie schaltet den Motor wieder ab, steigt aus und stellt wiederum den Strahler auf die Kühlerhaube. Auf dem Weg ins Haus wird sie auf ihren eigenen Fußabdruck treffen, den sie peinlichst auswischt. So setzt sich die Geschichte fort und wird zur endlosen Erfahrung über die Selbstvergewisserung einer schwarzen Frau, vielleicht stellvertretend für die Menschen, die einst das Haus, die Gegend und die verwüsteten Stadtteile Detroits bewohnten, in der der Künstler seine Geschichte angesiedelt hat. »Le Détroit« (frz.: die Meerenge, der Engpaß) ist die sich endlos wiederholende Suche nach einem Geheimnis und nach Hinweisen auf sich selbst, die die Protagonistin nicht mehr ruhenlassen und die sie in der Enge des verlassenen Hauses gefangen nehmen und imimmergleichen Vorgang verharren lassen. Stan Douglas inszeniert eine so banale wie komplexe Gruselgeschichte. Ihm gelingt es, das Unheimliche im Film durch suggestive Kameraeinstellungen, die nächtliche, einsame Szenerie, und einen beunruhigenden Soundtrack aus Außen- und Bewegungsgeräuschen zu schüren und zu verstärken und gleichzeitig die kulturell durch Literatur, Film und Fernsehen tradierten Komponenten und Deutungsmuster des Genres, die das Alltägliche unheimlich und fremd erscheinen lassen, zu dekonstruieren. Der Eindruck des Unergründlichen, Halbbewußten und Verschütteten, ja die tragische Verstrickung werden vom Künstler durch die spezifische Präsentationsweise dieses Filmloops noch weiter gesteigert. Douglas konstruierte für dieses Unterfangen eine komplizierte Installation aus zwei gegeneinander gestellten Filmprojektoren, die die Projektion der Filmschleife auf einer in der Mitte der Projektionsachse aufgehängten, transparenten Leinwand spiegelbildlich verdoppeln. Die identischen Filme laufen minimal asynchron zueinander, sie unterscheiden sich nur durch den Sachverhalt, dass es sich bei dem einen um eine Negativkopie handelt. Stan Douglas' Film basiert einerseits auf seinen Recherchen über Detroit seit 1997, die er in einer Serie von Fotografien festgehalten hat und einer okkulten Spukgeschichte von Shirley Jackson »The Haunting of Hill House« von 1959. Eine Besonderheit des nach der Buchvorlage 1963 gedrehten Films (»The Haunting«) war sein Verzicht auf in einem Geisterfilm zu erwartende Special Effects, ohne die beunruhigende bis verstörende Atmosphäre zu mindern.

Die zerstörte Stadt als Phantasma der Moderne

Die Stadt Detroit, eine französische Gründung namens Ville détroit (Stadt an der Meerenge) aus dem Jahre 1701, war im 19. Jahrhundert, bedingt durch ihre Lage an einem Verbindungsfluss zwischen den Großen Seen Lake Huron und Lake Erie, ein wichtiger Handelsplatz und bekannt durch ihre Schiffbauindustrie. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich Detroit zur Stadt der amerikanischen Automobilindustrie, einem Aushängeschild für die Moderne in der industrialisierten Produktionswelt, deren Glanz heute einem Bild der Zerstörung durch den Kapitalismus unddessen Auswirkungen auf die Stadtstruktur und auf Detroits Bewohner gewichen ist. Fast die gesamte Innenstadt Detroits ist verlassen, verwahrlost, ihrem Schicksal überlassen. Ausgelöst wurde das urbane Desaster durch die Abwanderung der Industrie aus der Innenstadt und dem damit einhergehenden Auszug der weißen Bevölkerung aus den innerstädtischen Bezirken in die Vororte. In den freigewordenen Wohnungen richteten sich schwarze Zuwanderer ein, was zu ökonomischer wie rassistischer Diskriminierung führte. Die Automobilkrise der 1960er und 70er Jahre, ausgelöst durch eine vorher nicht gekannte Konkurrenz aus Japan und die rapide Veränderung der Autoproduktion (vom Fließband zur automatisierten Förderungsstraße), die zu hoher Arbeitslosigkeit besonders unter den Arbeitern und einfachen Angestellten führte, tat ihr Übriges. Ganze Bezirke verarmten, die Immobilienpreise fielen und die gesamte Stadt sah sich mit ökonomischer Vernachlässigung konfrontiert, während die wohlhabenden Außenbezirke und Vorstädte mit vorwiegend weißer Bevölkerung mehr und mehr aufblühten. Mit dem wachsenden politischen Selbstbewußtsein der schwarzen Bevölkerung Amerikas kam es seit Mitte der 60er Jahre immer wieder zu Konfrontationen. 1967 entluden sich die Spannungen in den Detroit Riots. (Detroit war schon 1943 Schauplatz von Rassenunruhen gewesen.) Sie beschleunigten ein weiteres Mal die Bewegung der weißen und wohlhabenderen Schichten aus der Stadt Detroit heraus und prägten ein durch Fernsehen und Nachrichten über ganz Amerika verbreitetes Bild von einer gewalttätigen, zu meidenden Stadt, in der sich weder das Wohnen noch das Arbeiten und schon gar nicht der Einsatz weiterer privater Investitionen oder staatlicher Subventionen lohnte. Jeder, der die Möglichkeit hatte umzuziehen, verließ Detroit, so auch in zunehmendem Maße die schwarze Bevölkerung. Die Stadt verkam mehr und mehr zur Geisterstadt. Hier knüpft der Künstler an. Der Bezirk Herman Gardens, in den Stan Douglas die Außenaufnahmen für sein Filmprojekt legte, wurde in den vierziger Jahren als eines der größten amerikanischen öffentlichen Wohnprojekte für die weiße Bevölkerung erbaut. In den fünfziger und sechziger Jahren zogen schwarze Familien in die leer gewordenen Gebäude und in den 1980er Jahren, der Reagan Ära, in der fast alleSozialprogramme gekürzt oder gestoppt wurden, verließen auch diese massiv Herman Gardens oder wurden zur Räumung gezwungen. Heute ist das Viertel fast ausgestorben. Es wird von Straßengangs beherrscht und Abbruchhäuser werden als Crackhäuser zum Drogenhandel benutzt. Die Gegend ist unsicher geworden. Sie wird als »blight«, als Schandfleck, bezeichnet, vor dem in Stadtführern ernstlich gewarnt wird. In seiner Fotoserie erfasst Stan Douglas die Ansichten der Stadt als Zeugnisse einer zivilisatorischen Katastrophe mythischen Ausmaßes, die großflächig von der Natur überwuchert werden. Es sind die realen Ruinenschauplätze, die wirklichen Wüsteneien einer bis dato erdachten und genüsslich ausgemalten Kulissenwelt eines »Planeten der Affen« oder »Logan‘s Run« des Effekt-Kinos Hollywoods.

Eine Geistergeschichte

Douglas verknüpft die Geschichte von Herman Gardens mit der Geschichte seiner schwarzen Bevölkerung und erzählt sie unter Zuhilfenahme der schon erwähnten Spukgeschichte. Die Hauptperson in »The Haunting of Hill House« heißt Eleanor. Bis auf den Buchstaben e ist der Name identisch mit der der Protagonistin seines Films. Sie verbringt eine gewisse Zeit in einem vermeintlichen Spukhaus. Allmählich überlagert sich die Identität einer früheren Bewohnerin des Hauses mit der von Eleanor, versucht mit ihr identisch zu werden und sie im Haus in einer anderen Zeit, man könnte vom Eintreten in eine Zeitschleife sprechen, festzuhalten. Die Erzählung ist grandios, da sie einerseits das Haus wie einen eigenen Organismus, in welchem sich seine Geschichte selbstständig gemacht hat, beschreibt und andererseits die Phänomene im Haus und ihre Deutung, ja ihre mögliche fiktionale Erzeugung, nicht von den Gedankengängen Eleanors trennt und somit nicht klar wird, ob die Frau ihrer lebhaften Fantasie wegen verrückt wird oder ob tatsächlich der Geist des Hauses Macht über sie gewinnt. Den Vorgang der Überlagerung visualisiert Stan Douglas buchstäblich durch das Positiv/Negativ-Spiegelverfahren und stellt die Verstrickung Eleanores mit ihrer Umgebung und ihren verdrängten Bewusstseinsanteilen mit Hilfe des technischen Kniffs des Loops dar. Die apparativen Komponenten der Installation entsprechen also der Grundstruktur der Erzählung, formal wie inhaltlich.Verdrängung wird als Überlagerung, Verschiebung und Verdichtung perfekt ins Bild gesetzt, aber das beiseite Geschobene kommt immer wieder zum Vorschein. Es wird ein anderes Bild eingeführt, welches zum Erkennen wie zum Verkennen der Welt, des sozialen, des historischen wie des realen Kontextes, führt – ähnlich dem Spiegelstadium wie es Jacques Lacan beschreibt. Der von Stan Douglas inszenierte dunkle Raum wird zum experimentellen Dispositv zur Vergegenwärtigung eines fiktiven sowie eines realen und eines psychoanalytischen Vorgangs, den wir Bewusstseinsbildung nennen. Man könnte die Leinwand nach Kaja Silvermans Buch als »Die Schwelle zur sichtbaren Welt« bezeichnen. Die Wand als Membran zwischen zwei Welten. Durch die Bespielung der Leinwand von zwei Seiten wird die Wand selbst zur Schwelle zweier paralleler Projektionen und damit zweier Bildräume. Der eine ist negativ konstruiert, der andere positiv. Sie verhalten sich spiegelbildlich zueinander. Das Spiegelbild scheint auf das Bild kopiert oder im Falle von Personen verhalten sie sich wie Rücken an Rücken. Zweimal das Gleiche, oder besser eine Variation des Gleichen, könnte man sagen, die Bildebenen und Projektionsstrahlen durchdringen sich jedoch, da die Leinwand semitransparent ist. Das eine Bild verdrängt das andere und verändert somit die Wahrnehmung. Es entstehen Solarisationsprozesse, das helle Licht von Eleanores Taschenlampe bohrt sich in das Bild der anderen Seite, die leichte Asynchronisation der beiden Filme zueinander erzeugt Verdoppelung und Überschneidung der Konturen der Protagonistin. Die Bilder verhalten sich wie Schatten zueinander. Der Prozeß des Unheimlichen nach Sigmund Freuds Begriffsbildung wird so direkt visuell erfahrbar gemacht. So fallen das Reale und das Imaginäre ineinander. Douglas entwirft parallele Welten. Er transformiert jedoch durch die Überlagerung die gespiegelte Welt, die als frühkindliche Wahrnehmung, als Identifikation mit der eigenen Gattung, und dem Erkennen der eigenen Person und somit der Konstitution des Ichs als bewußte Wahrnehmung seiner selbst in der Umwelt beschrieben wird: Das Bild erscheint eingetrübt, die Auflösung beeinträchtigt, Konturen verwirrend, Einstellungswechsel erzeugen als Blitze wahrnehmbare Lichtveränderungen. Die Prägnanz nimmt in dem Maßeab, wie die Projektionsoberfläche sich reliefartig auszudehnen scheint.

Der Besucher im Raum und die Auflösung der Schatten

Der visuelle Status des Ich bedeutet körperliche Repräsentation und diese körperliche Repräsentation wird in Douglas' technischem Dispositiv wieder visuell erfahrbar gemacht. Und hier erscheint der Betrachter selbst im Bild. Der Besucher des Projektionsraums wird zum Eindringling in dieser Welt. Er muß sich zum Film auf der Leinwand in Beziehung setzen und sich im Raum positionieren. Durch die Doppelbespielung ist er konstant in Bewegung, um sich auf beiden Seiten ein Bild zu machen – ähnlich der häufig wechselnden Kameraeinstellungen im Film selbst. Tritt der Betrachter in den Projektionsstrahl, stellt sich ein merkwürdiger Effekt ein. Es nicht zu tun, ist fast unmöglich, da die Leinwand schräg im Raum hängt und eine Cinemascope-Aufnahme wiedergibt. Der Blick auf die Leinwand von außerhalb der Projektion führt notgedrungen zu einer verzerrten Wiedergabe. Das Bild verschwindet nicht wie man es beim Eintreten in den Lichtkegel erwartet und wie es technisch (optisch, physikalisch) folgerichtig wäre – nein, es passiert das Gegenteil. Im »Schatten«, den man wirft, sieht man den Film klarer, deutlicher und konturenschärfer, da die Überlagerung aufgehoben ist und nur noch das Bild des entgegengesetzten Projektors durchscheint. Es ist als würde man sich in den Film hineinbegeben. Man lässt seine materielle Hülle hinter sich und tritt in die andere Ebene, wird selbst zum Mittel der Projektion und damit Teil des Films und der Handlung. Der Besucher tritt auf als »Geist« und vervollständigt die Spukgeschichte. Es ist im wahrsten Sinne phänomenal, was sich Stan Douglas da ausgedacht hat und wie scharfsinnig und präzise er diese mögliche Transformation umsetzt. So wird der gesamte Raum für die Installation zum Laboratorium, einem Versuchsaufbau, in dem der Betrachter Teil des Experiments, ja Substanz wird durch seine Entsubstantiierung. Er wird zum für die Filmfigur unsichtbaren Mitspieler. Er hinterläßt jedoch keinen bleibenden Eindruck im Film. Tritt der Betrachter aus dem Licht heraus, läuft der Film sich endlos wiederholend weiter, als hätte diese Verbindung nicht stattgefunden. Es folgt nichts darauf, kein Kratzer imFilmmaterial – nur ein Eindruck im Kopf des Betrachters, der irritierend genug ist, das Gesehene zu stören. Die Kritiker des Buches von Shirley Jackson bewunderten immer wieder, dass die Phänomene, welche sich im Spukhaus ereignen, fast alle rational zu erklären sind. So können wir die Geschichte, die uns erzählt wird, durch unsere Bewegung im Raum verdeutlichen. Wir können jedoch der Protagonistin, auch wenn wir deutlicher und mehr sehen als sie, da die Winkel der Kamera viele sind, nicht helfen. Und wir sehen natürlich deutlicher. Auf der Filmset-Ebene wird dies ganz klar kenntlich gemacht durch den Schwenk der Kamera über eine Wand hinweg in ein anderes Zimmer. Wir können das Päckchen im Gemäuer sehen, das Eleanore nur erahnen, bestenfalls mit ihren Fingerspitzen ertasten kann. Wir sehen auch die Folgen ihres Weges durch das Haus, die Veränderungen, die durch sie vorgenommen werden und die beim Verlassen des Hauses wieder revidiert werden. Das Blatt, die Kleider – nur der Fußabdruck bleibt unausgewischt, sind ein Hinweis auf einen zeitlich zurückliegenden, nicht erinnerbaren Vorgang.

Referenzsysteme

»Le Détroit« stellt eine Passage von einer Welt in eine andere dar. Es ist eine parallele Welt, aber sie ist verkehrt: einerseits gespiegelt und andererseits in die Negativversion gekippt, was im Filmentwicklungsprozess einer Umkehrung entspricht. Die Simultaneität der positiven und der negativen Handlung ist eine geniale Erfindung von Stan Douglas. Das Einfügen von Negativfilm in das Positivmaterial jedoch hat Geschichte. Der wohl berühmteste Einsatz ist der in Friedrich Wilhelm Murnaus phantastischem Film von 1921 »Nosferatu - Symphonie des Grauens«. Dort wurde, um die Bizarrerie von Landschaft, das Unheimliche in der Natur zu visualisieren, von Murnau Negativfilm an der Stelle in die Filmkopie einmontiert, an der der Angestellte eines Häusermaklers mit einer Kutsche durch den Geisterwald zum Schloss des Grafen Orlok gefahren wird. Mit dieser Passage begibt sich der Maklergehilfe in den Machtbereich des leibhaftig gewordenen Metaphysischen und verläßt die Sphäre des scheinbar rationalen Common Sense. Es gibt noch weitere Übereinstimmungen mit diesem frühen Meisterwerk des phantastischen Films. Der Regisseurdrehte seinen Film im Unterschied zur damals gängigen Praxis an Originalschauplätzen in zerklüfteter Landschaft, in den Karpaten und in der Ostseestadt Wismar mit ihren verfallenen Lagerhäusern, um der Bedrohung einen realen Charakter zu verleihen. Die erwähnte Waldszene steigert die Natur ins Mythische. Sie evoziert die Vorstellung, dass die Natur die zivilisatorischen Errungenschaften jederzeit wieder zu überwuchern droht. Ähnlich prominent verfährt Stan Douglas mit seiner Zeichnung der Natur, indem er Blätterwerk – Laub und Gehölz – in einer seltsamen Großaufnahme in den Film einfügt und ihm so Bedeutung zuweist. Letztendlich hat sich Stan Douglas beim Schreiben seiner Story für einen stummen Vorgang entschieden und ihm einen stummen Beobachter hinzugesellt, ähnlich dem Figurenpersonal in Murnaus Film. Murnau kommt in seinem Stummfilm mit äußerst wenigen Zwischentiteln aus, da die Szenerie so beschaffen ist, dass sie sich selbst erklärt. Friedrich Wilhelm Murnaus Film wurde als Zeitdokument interpretiert und auch von den Kinogängern damals so verstanden. Die Pest, die der Vampir nach Wismar bringt, erinnerte die Menschen an die schwere Grippeepidemie des Winters 1919/20, der viele Menschen erlagen. Die Entbehrungen der Soldaten auf dem Balkan im 1. Weltkrieg wurden durch unheimliche Geschichten über nächtliche Blutsauger noch gesteigert, was die Angst und ihr Verlorensein in einer ihnen fremden Umgebung noch verstärkte. Der Hauptdarsteller weckte mit seinem ausgemergelten Gesicht Assoziationen an die hungernde deutsche Bevölkerung. Stan Douglas wiederum schafft ein ähnliches Assoziationsgeflecht in seinem Film. Der gesamte Streifen und seine geloopte Fassung sind metaphorisch lesbar. Die Protagonistin ist schwarz und könnte die Generation der letzten Wohnbevölkerung von Herman Gardens und den Innenstadtbezirken Detroits repräsentieren. Das verwahrloste, verlassene Haus deutet auf die Verarmung der Gegend hin, den Exodus der schwarzen Bevölkerung. Die Möbel verweisen auf die verschiedenen Generationen, die in dieser Gegend wohnten. Das Büro, die Kolonialmöbel, das Spinnrad, der Fernseher, das tragbare Transistorradio im 60er-Jahre Design verweisen auf Erwachsene, Frauen, Männer, Teenager und Kinder. Das Mobiliar des Hauses repräsentiert bessere undschlechtere Zeiten. Es spielt auf Freizeitverhalten, häusliche Repräsentation und Arbeit an. Die frischen Kleider, die Büchse auf dem Boden, die das tropfende Wasser einfängt (oder ist es gar kein Wasser, sondern vielleicht Blut oder Öl, wie es sich in den phantastischen Film oder in das gegenwärtige Detroit als ruinöser Autostadt gut einpaßt), scheinen das Gebäude als temporäre Wohnstatt auszuweisen und könnten auf die immense Obdachlosigkeit, die in Detroit besonders, aber auch in vielen anderen amerikanischen Industriestädten herrscht, anspielen. Das versteckte Objekt kann als Raubgut oder als Rauschgiftpaket gedeutet werden, eine Anspielung auf Kriminalität und Drogendelikte, die in der schwarzen Bevölkerung Detroits verortet werden. Das Auto zu guter Letzt ist ein Symbol für die Stadt der Automobilfabriken General Motors, Ford und Chrysler. Das Zuleuchten mit der starken Lampe könnte so interpretiert werden, dass die Automobilindustrie allein nicht mehr die ökonomische Grundlage für viele Bewohner Detroits sichern kann.

Zelluloidwelten

Will Eleanore nun ein Delikt aufklären oder ist sie selbst eine Kriminelle? Für die Inspektorin sprechen die Marke des Autos und ihr anfangs selbstbewusstes Auftreten. Sie fährt einen Chevrolet Caprice, das klassische Polizeiauto in der Zivilfahndung. Der Künstler installiert neben der Hommage an Murnau eine weitere filmhistorische Ebene. Es ist die des schwarzen Protagonisten im Hollywoodfilm und dessen Plots, in welchen sich mit zunehmender Emanzipation der afroamerikanischen Bevölkerung und der damit einhergehenden Liberalisierung in den Vereinigten Staaten die Rolle des Schwarzen in der »Zelluloidgesellschaft« immer weiter differenziert hat. Es gibt neben schwarzen Übeltätern nun auch seit einigen Jahrzehnten die schwarzen Inspektoren. Der wohl berühmteste ist Sidney Poitier im Thriller »In the Heat of the Night« von 1967. Da sind die Blaxploitation Filme eines Melvin Van Peebles oder in jüngster Zeit der Film »Posse« von Mario Van Peebles (seinem Sohn), in welchem der schwarze Regisseur selbst einen attraktiven Sheriff spielt, eine Rolle, die vorher nur dem weißen Bürger vorbehalten war, nicht zu vergessen das Kino mit Whoopy Goldberg. Interessantwäre sicherlich auch die andere Seite von Hollywood zu untersuchen, die sich in letzter Zeit wieder stark, fast als Gegenbewegung, etabliert hat. Gemeint sind Filme neuerer Produktion, die Afroamerikaner fast gänzlich ausblenden wie die unzähligen Mafiafilme, Martin Scorsese‘s »Casino« oder »L. A. Confidential«. Vielleicht erscheint die Protagonistin auch deshalb im Negativ mit weißer Gesichtsfarbe. Es werden weitere filmhistorische Anleihen gemacht, sei es an Alfred Hitchcock oder Jerry Lewis, in der Verwendung des McGuffins oder der aufgeschnittenen Wand, die zwei Räume verbindet und die Kamera daran vorbeigleiten lässt. Es ist auch das Zitat an sich, das der Künstler vorführt, die Vorliebe Hollywoods, sich selbst zu zitieren. Stan Douglas wählt die derzeit in der Filmindustrie avancierteste Aufnahmetechnik. Es wird auf Videomaterial gefilmt, das dann auf 35 mm aufgeblasen wird und im phantastischen Film zunehmend Verwendung findet. So ist »Le Détroit«, der ohne digitale Tricks oder Blueboxverfahren auskommt, auch als Reminiszenz an das aktuelle Mainstreamkino zu lesen. Dazu gehört auch die Banalität der Story, die jedoch durch ein raffiniertes Drehbuch und die exakten filmtechnischen Entscheidungen in ein hochartifizielles Meisterwerk mit komplexesten Lesarten übertragen wird.

»Le Détroit« – eine traumatische Erfahrung

Okwui Enwezor kommt in seinem brillanten Essay (erschienen in der Broschüre zur Erstpräsentation von Le Détroit in den USA, im Art Institute of Chicago, 2000) zu folgendem Schluss. Er leitet seine Interpretation aus der Geschichte der Stadt, der Präsenz der Person sowie der Ethnie her. »Herman Gardens’s where the film was made, comes to stand then as the symbolic unconscious of Detroit‘s trauma, while Eleanoree’s presence and her search restore the black social order that disappeared with the city’s urban decline.« Diese Erkenntnis schließt die Leistung des von Stan Douglas in sein Experiment integrierten Besuchers noch nicht ein. Die zeiträumliche Dimension der Bewegung im Raum sowie der Entwicklung des Films und seiner endlosen Bewegung durch die Projektoren, lässt den Plot sich erst im Kopf des Betrachters realisieren. Illusionsraum und Installationsraum scheinen ineinander zu fallen. So wird die Geschichtezur tatsächlichen Geistergeschichte und der Ausstellungsbesucher zum Wanderer zwischen den Welten. Und auch dieser Effekt wird noch dekonstruiert. Wir wissen doch alle, dass die Geister symbolische Repräsentanten unserer Ängste, Befürchtungen und verdrängten Wünsche sind. Die Geister entsprechen der durchscheinenden Folie einer wahren, gelebten Geschichte, die sich im Rückblick zur Historie verdichtet. Wenn wir den Projektionsraum verlassen, lassen wir Eleanore letztendlich in ihrer Geschichte wieder allein. Für den Zuschauer ist es schwer, sich in dem Film zu verlieren. Er sperrt sich rational gegen die Suggestivität der Leinwand und ihrer fortlaufenden Abbildungen. Man könnte lange in diesem Raum bleiben, sich langsam kreisend darin bewegen und würde immer etwas Neues entdecken. Wie weit soll man sich auf das Schauspiel einlassen, um gegebenenfalls die Haltung der nur partiellen Durchdringung der Verhältnisse durch reflektierte Handlungsweisen zu ersetzen und damit den scheinbar ewigen Kreislauf konstruktiv zu durchbrechen? Die Überwindung des Engpasses durch den Schritt hinaus aus dem Loop, müßte gleichzeitig das Heraustreten aus dem historisch, sozial und kulturell überdeterminierten Raum sein. Die daraus folgende Zertrennung von Traditionslinien dürfte nicht erneut die mannigfaltigen Kontexte verdrängen, deren Verlust die Motivationsgeschichte wieder in scheinbar unzusammenhängende Reihungen von Indizien und Evidenzen, wie sie im Film ausgebreitet werden, zerfallen läßt. Das Dossier über »Le Détroit« und damit über die Geschichte einer Stadt und den Zustand unserer gegenwärtigen Gesellschaft ist noch lange nicht abgeschlossen. Eine überzeugende Strategie zur Lösung des komplexen Problemkreises, dem sich »Le Détroit« metaphorisch nähert, scheint noch nicht gefunden.

© Medien Kunst Netz 2004