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ThemenFoto/ByteEditorial
Foto/Byte
Editorial
Susanne Holschbach

http://www.mediaartnet.org/themen/foto_byte/editorial/

Das älteste in der Reihe der neuen Medien, die Fotografie, behauptet nach wie vor eine zentrale Stellung – sowohl im Feld der Kunst als auch im Bereich der Massenmedien. Daher löste ihr technologischer Wandel von analog zu digital, der vor über zwanzig Jahren begonnen hat, in den Reihen von Fotoexperten und Medientheoretikern eine heftige Debatte aus: Es ging die Rede von einer ›Revolution der Fotografie‹ um, vom ›Tod der Fotografie‹, vom Anbruch des ›postfotografischen Zeitalters‹. An der affektiven Aufladung dieser Debatte zeigt sich deutlich, dass es dabei um mehr ging, als um die schlichte Ersetzung eines technischen Verfahrens durch ein anderes: Mit der Existenz der chemo-optischen Fotografie schienen auch die Werte und Mythen des Fotografischen selbst auf dem Spiel zu stehen – insbesondere das ›Versprechen‹, Realität nicht nur darstellen, sondern auch bezeugen zu können. Inzwischen hat der technologische Wandel unseren Alltag erreicht. Im Comsumerbereich werden schon mehr digitale als analoge Kameras verkauft, Großlabore für den Fotofilmbereich werden aufgelöst beziehungsweise rüsten auf Prints von digitalen Daten um, der Vorstoßin den Megapixelbereich macht digitales Fotografieren auch für Profis relevant. An die Stelle von Spekulationen über die gesellschaftlichen Folgen des medialen Umbruchs sind die Auseinandersetzungen über technische Detailfragen getreten, wie beispielsweise die der Sicherung elektronischer Bilddatenbanken oder der Vereinheitlichung von Speicherformaten für die so genannten ›Rohdaten‹ einer digitalen Aufnahme.

Das thematische Modul »Foto/Byte« geht von dieser bereits veränderten Praxis der Fotografie aus, die von den einzelnen Beiträgen an konkreten Beispielen erläutert wird. Dabei werden sowohl der künstlerische Bereich als auch die privaten, journalistischen und archivarischen Gebrauchsweisen der Fotografie in den Blick genommen. Ziel ist es, nach dem Abklingen der ersten Welle von Aufregung über das Verschwinden der analogen Fotografie eine nüchterne Zwischenbilanz zu ermöglichen: über die Bedeutung von Fotografie als Kunst und als Medium unter dem Vorzeichen des Digitalen.

Der Vorteil der digitalen gegenüber der analogen Fotografie liegt in ihrer Anschlussfähigkeit an den Verbund elektronischer Medien: Das digitale Foto kann direkt am Computer bearbeitet und über das Internet distribuiert werden. Eingefügt in die grafische Oberfläche des Bildschirms lässt es sich in beliebige intermediale Relationen bringen – das heißt, mit Texten, Ikons, Ton, Videostreams und anderem verknüpfen. Wie der Beitrag von Susanne Holschbach darlegt, finden diese multimedialen Optionen ihren Vorläufer in der Koppelung von Fotografie und Printmedien. Im Hinblick auf die »Kontinuitäten und Differenzen zwischen fotografischer und postfotografischer Medialität«, die der gleichnamige Text in einer historischen Perspektive erläutert, erweist sich der jüngste technologische Wandel der Fotografie somit weniger als ein radikaler Bruch denn als eine Potenzierung ihrer (massen)medialen Gebrauchsweisen, das heißt derjenigen Gebrauchsweisen, die auf dem Dispositiv der technischen Reproduzierbarkeit gründen.

Der epistemologische Schnitt zwischen analoger und digitaler Fotografie ist bedingt durch das Obsoletwerden des chemischen Trägers. Die Digitalisierung macht den Umweg über Film,Entwicklung und Abzug überflüssig; die fotografische Aufnahme verliert jedoch im gleichen Zuge ihre Materialität – sie kann sofort gelöscht oder verändert werden, ohne einen Hinweis auf ihren ursprünglichen Zustand zu hinterlassen. Der Einsatz und die Rezeption von Fotografien als Dokumente, vielmehr: Existenzbeweise gründeten aber auf eben jener Spezifik des chemooptischen Verfahrens, den aufgenommenen Gegenstand, die aufgenommene Szene als Lichtspur auf der fotosensiblen Schicht irreversibel zu fixieren. Der Verlust dieser indexikalischen Materialität belegt das Wirklichkeitsversprechen von Fotografien mit einem nachhaltigen Zweifel. Insbesondere der Journalismus und die Knipserfotografie rekurrieren dennoch weiterhin auf das Fotografieren als Strategie der Authentifizierung – neue Kommunikationsformen wie das Aufnehmen und Versendungen von Fotos über Handy sprechen sogar für eine Steigerung der fotografischen Unmittelbarkeit durch ihre Digitalisierung. In ihrem Text »Sofortbilder« verfolgt Kathrin Peters Überlegungen, inwiefern diese Überbetonung des Zufälligen den Status des Amateurs einerseits und des professionellen Fotoreporters andererseits zur Disposition stellt: Beide haben sich gewisse Handfertigkeiten, technische Kenntnisse und ästhetische Wertmaßstäbe angeeignet, die im Sofort des digitalen Knipsens, Distribuierens und Konsumierens entbehrlich, für den Ausdruck von Lebensnähe und ›Realness‹ sogar hinderlich sind. Peters vermutet, dass mit der digitalen Produktion und Zirkulation von Bildern die Differenzen zwischen High und Low, zwischen Meisterschaft und Dilettantismus, zwischen ›begabtem Auge‹ und bloßem ›Draufhalten‹ verwischen; Differenzen, die innerhalb des fotografischen Feldes Qualität markierten. Darüber hinaus wird auch die Mediendifferenz von stehendem und bewegten Bild unscharf, wenn nämlich Pictures und Movies mit einem einzigen Apparat hergestellt und betrachtet werden können.

Auch in der künstlerischen Fotografie spielen Authentizität und Wirklichkeitsbezug nach wie vor eine tragende Rolle. Dokumentarische Richtungen wie die der topografischen Fotografie verstehen sich jedoch zugleich als kritische Reflexion des naiven Glaubens an die Unmittelbarkeit des fotografischen Realismus. Dokumentarisches Arbeiten ist eine Frage der Haltung –gegenüber dem Untersuchungsgegenstand und in der Analyse der eigenen Perspektive – und nicht eine der Technologie. Die Umstellung auf digitale Medien wird zweifelsohne Praktiken, Ästhetik und Präsentationsformen dokumentarischer Fotografie verändern, nicht aber diese Agenda des Dokumentarischen als solche.

Die Anerkennung der Dokumentation als künstlerische Richtung ist eine vergleichsweise späte Entwicklung in der Fotogeschichte; zunächst setzte Fotografie, die sich als Kunst verstanden wissen wollte, auf die Inszenierung vor der Kamera und die nachträgliche Bildbearbeitung im Labor. Mittels fotografischer Rhetorik wurde Imaginationen eine visuelle Glaubwürdigkeit verliehen, über Inszenierung und Nachbearbeitung ließen sich andererseits Fotografien zu einem allegorischen Realismus verdichten. Die elektronische Bildbearbeitung hat das Spektrum möglicher Eingriffe in das fotografische Bild nahezu grenzenlos erweitert. Der Text »Künstlerische Konzeptionen am Übergang von analoger und digitaler Fotografie« von Anette Hüsch untersucht, wie KünstlerInnen diese konkret einsetzen, in welcher Weise sie sich in der Bildästhetik niederschlägt und nicht zuletzt, welche Themen und Diskurse die digitalen Bilder vorrangig behandeln. Konnte man mit Jeff Wall konstatieren, dass die Fotografie die Malerei in der Darstellung des modernen Lebens abgelöst hat, führt ihre digitale Bearbeitung notwendig zu der Frage, ab welchem Grad des Eingriffes sich das Fotografische in einer Art elektronischer ›Malerei‹ gänzlich auflöst. Im Laufe ihrer Geschichte hat die Fotografie zur Anhäufung eines unübersehbaren, heterogenen Bilderreservoirs geführt. KünstlerInnen haben von Beginn an auf dieses Reservoir zugegriffen – zunächst nur als Bildvorlage, schließlich auch um das angeeignete Material zu analysieren, zu bearbeiten, neu zu kontextualisieren, einer anderen Bewertung zu unterstellen. Mit der Digitalisierung wächst dieses Reservoir nicht nur weiter an; es macht auch Bilder verfügbar, auf die man zuvor allenfalls über zufällige Funde oder aktive Sammlertätigkeit stieß. Von zentraler Bedeutung ist jedoch vor allem die Wandlung, die das Bildarchiv durch seine Überführung in die Ortlosigkeit digitaler Netze erfährt. Der Text »Archiv – post/fotografisch« von Jens Schröter befasst sich in diesem Sinne sich mit den Voraussetzungen und denKonsequenzen digitaler Bilddatenbanken. Untersucht wird das Paradoxon von potentieller Ewigkeit und apparativer Vergänglichkeit digitaler Daten, von allgemeiner Zugänglichkeit elektronischer Bildarchive und der tatsächlichen Beschränkungen ihrer Nutzung. Mit der Distribution künstlerischer, journalistischer, privater et cetera Fotografie im Internet erhalten nicht zuletzt Fragen des Copyrights und der Autorschaft neue Brisanz; die erweiterte Verfügbarkeit von Bilder eröffnet jedoch auch die Möglichkeit, neue Anordnungen von Bildern (das heißt jenseits administrativ gesteuerter Zugriffe) nicht nur zu denken, sondern zu erproben.

Die thematischen Beitrage werden ergänzt durch Dokumentationen einer von Susanne Holschbach und Dieter Daniels an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig veranstalteten Vortragsreihe (Wintersemester 2004/2005), in der künstlerische Positionen und wissenschaftliche Analysen im Dialog vorgestellt wurden.

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